: Abtauchen: Lügenmuseum
Selten war es so schwer, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Ein Besuch im Lügenmuseum in der Prignitz, nordwestlich von Berlin, hilft weiter und lässt hoffen
Wer sagt heute eigentlich noch die Wahrheit? Die Wettervorhersage im Radio jedenfalls nicht, und auch den Stimmen der Weltpolitik sind seit langem schon die echten Tatsachen ausgegangen. Da kommt der Besuch im Gantikower Lügenmuseum gerade richtig. Hier muss man nichts glauben, weil sowieso alles erfunden ist.
Wenigstens die Adresse stimmt. Hinter Kyritz an der Knatter geht es immer Richtung Norden, dann nach fünf Kilometern scharf links. Das angebliche Schloss, in dem das Museum untergebracht ist, entpuppt sich als verwittertes Landhaus, das dringend einen Anstrich gebrauchen könnte. Die Eingangstür qietscht, dann sind wir an der Kasse. Autofahrer zahlen 3 Euro, Radler die Hälfte, echt!
Bevor es in die Ausstellungsräume geht, parken wir im kleinen Café ein und essen angeblich selbst gebackenen Apfelkuchen. Er schmeckt tatsächlich so, und auch der Kaffee ist kein Fake, weshalb die Zweifel an der Echtheit des Lügenmuseum langsam Nahrung bekommen. Was, wenn Lügen hier nur in Vitrinen gesteckt wurden?
Doch es kommt anders. Kaum haben wir die Schwelle zu den Schauräumen überschritten, gewinnt der Wahnsinn endlich die Oberhand. Da wäre zum Beispiel das Blubbern aus einem alten Radio: „Originaltöne vom Untergang der Titanic“ sollen das sein. Oder der Weihnachtsbaum aus dem Jahr 1989, „nur einmal gebraucht“. Das Traumschiff des Fliegenden Holländers, Willy Brandts Geburtsstube oder die Maus des Ritter Kahlbutz. All das auf 200 Quadratmetern, verteilt auf 8 Säle. Wie von Geisterhand klappen Kofferdeckel auf, spielt ein Grammophon, fliegt ein Teppich mittels Gebläse.
Ein Highlight dürfte die Installation „Psychedelia Maschinka“ sein, mit der es möglich sein soll, Weltbewusstsein zu simulieren. Laut Professor Richard von Gantikow, den imaginären Urheber dieses aus Unrat des öffentlichen Lebens zusammengebastelten Konstrukts, soll damit 1989 die politische Wende in Deutschland herbeigeführt worden sein. „1990 wurde diese Maschine im niederländischen Arnheim ausgestellt. Infolgedessen nahm das niederländische Königshaus geschlossen an einer Fischverkostung teil, und die Holländer vereinigten sich mit den Niederländern“, verrät der Ausstellungskatalog.
Um die Psychedelia Maschinka optimal zu entwickeln, beobachtete Gantikow unter anderem, wie Haushaltsmaschinen auf das Bewusstsein einwirken. „Sprechen Sie ruhig und gelassen mit Ihrer Kaffeemaschine“, so sein Rat.
Dem Ableben der DDR widmet sich die Ausstellung in besonderer Weise in einer Art Kathedrale des Sozialismus. Unter anderem wird der Aufschwung Ost mit einer an die Wand gelehnten Leiter sehr schön dargestellt. Und auch ein Elvisschrein mit Erdnusslocken gibt Besuchern genügend Grundlage für Assoziationen.
Dass im Lügenmuseum alles Lüge ist, entpuppt sich nach und nach als größte Lüge. Konkreter kommt man versteckten Wahrheiten selten auf die Spur. Vielleicht ist das aber auch gerade der Reiz des Hauses: ein Asyl für Wahrheiten zu sein, die niemand mehr haben will. Oder wie schon ein gewisser Herr Pablo Picasso log: „Die Kunst ist eine Lüge, die uns helfe, die Wahrheit zu erkennen – aber eben als Lüge.“
CHRISTINE BERGER
Lügenmuseum, Am Anger 1, 16866 Gantikow bei Kyritz, Tel. (03 39 71) 5 47 82. Das Museum ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt für Autofahrer 3 Euro, für Radfahrer die Hälfte, Ermäßigung nach dem Robin-Hood-Prinzip
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