„Das ist ein übles Phänomen“

Anwälte und Nebenkläger versuchen, die Presse für oder gegen die Beschuldigten einzunehmen. Richter und Staatsanwälte verfolgen die Berichterstattung. Ein Gespräch über den Einfluss der Mediengesellschaft auf die Justiz

Interview von Friederike Gräff

taz: Herr Meier, hat die Vorverurteilung in der Prozessberichterstattung zugenommen?

Bernd-Dieter Meier: Es hat etwas zugenommen. Früher war das weniger weit verbreitet als heute, wo die Auflagenhöhe eine größere Rolle spielt und die Berichte über Strafverfahren nun einmal gerne gelesen werden.

In einigen Prozessen der letzten Zeit wurde die Art der Berichterstattung als möglicherweise schuldmildernder Faktor berücksichtigt. Halten Sie das für angemessen?

Grundsätzlich schon. Die Art der Berichterstattung und vielleicht auch die öffentliche Vorverurteilung ist ein von der Rechtsprechung anerkannter Strafzumessungsfaktor. Wenn also dadurch für den Beschuldigten besondere Nachteile ausgehen, zum Beispiel durch eine Vorverurteilung, die gerade bei Mord- oder Sexualdelikten mit einem erheblichen Stigma verbunden ist, kann das schuldmindernd berücksichtigt werden.

Zuweilen hat man den Eindruck, dass Anwälte versuchen, die Medien zu instrumentalisieren. Das kann so weit gehen, dass private Bilder an die Öffentlichkeit gegeben werden und hinterher der Verlust von Privatsphäre beklagt wird.

Ich denke, dass sowohl die Verteidiger als auch die Nebenklagevertreter die Medienberichterstattung in ihre Strategieplanung einbeziehen. Ich glaube aber nicht, dass es häufig vorkommt, dass man Bildveröffentlichungen gezielt steuert, um hinterher auf Strafmilderungsgründe ausweichen zu können. Denn Verteidiger riskieren mit solchen Bildern, ihren Mandanten auch Schaden zuzufügen. Ich könnte mir eher vorstellen, dass so etwas aus dem privaten Bereich von Nebenklagevertretern gesteuert wird.

Es ist mittlerweile fast schon notorisch, dass bei Kindstötungen Obduktionsbilder an die Öffentlichkeit gelangen. Wer kann daran Interesse haben?

Das ist ein ganz übles Phänomen – und es bedeutet einen groben Verstoß gegen die Persönlichkeitsrechte des Verstorbenen. Das so genannte Interesse der Öffentlichkeit kann daran eigentlich nicht so groß sein, weil es da eher um das reißerische Element geht und weniger um die sachliche Information, was an Verletzungen zugefügt wurde – die kann man sich auch ohne Bild vorstellen. Da überwiegt klar das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen.

Es gab Vorstöße, dieses Persönlichkeitsrecht dadurch zu schützen, dass Behörden die Namen von Beschuldigten nur in Ausnahmefällen nennen dürfen. Woran ist das gescheitert?

Die Berichterstatter können sich auf ein hohes Rechtsgut, den Schutz der Informationsfreiheit, berufen. Die Medien haben interessanterweise auch dann einen Anspruch auf Information, wenn sie diese ihrerseits gar nicht weiterleiten dürfen. Es ist wichtig, dass es diese Auskunftspflicht gibt – andererseits sind die Behörden verpflichtet, den Schutz der betreffenden Personen zu gewährleisten.

Gelingt dieser Spagat?

Die rechtlichen Regelungen dazu sind sehr weit gefasst und es ist in vielen Einzelfällen notwendig, die Grenzen neu zu finden. Wenn man sich zum Beispiel ansieht, wie das Verfahren gegen den Postchef Zumwinkel geführt wurde, habe ich den Eindruck, dass der notwendige Schutz nicht die Rolle gespielt hat, die er hätte spielen müssen.

Studien haben ergeben, dass die meisten Richter und Staatsanwälte die Berichte über die von ihnen geführten Prozesse verfolgen. Untergraben sie damit nicht selbst die von ihnen verlangte Unabhängigkeit?

Das ist in einer Mediengesellschaft unvermeidlich. Wahrscheinlich ist das aber für die Nicht-Profis unter den Verfahrensbeteiligten von größerer Bedeutung, insbesondere für die Schöffen. Die haben vielleicht einen Fall im Vierteljahr und wenn über diesen groß berichtet wird, kann das Einfluss haben. Allein der Umstand, dass berichtet wird, führt jedoch nicht zu Befangenheit bei den Richterinnen und Richtern.Wenn etwas anderes belegbar ist, etwa durch eine Bemerkung über die Berichterstattung, lässt sich ein Befangenheitsantrag stellen. In der Regel habe ich aber den Eindruck, dass sie sich sehr professionell verhalten.

Fotohinweis:BERND-DIETER MEIER, 53, ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Uni Hannover FOTO: PRIVAT