Anklage: Sexuelle Gewalt unter Pol Pot

In Kambodscha hat erstmals ein Opfer der weit verbreiteten sexuellen Gewalt der Roten Khmer Beschwerde beim Internationalen Tribunal eingelegt und die Zulassung als Nebenklägerin beantragt. Bis heute schweigen die meisten Opfer

VON JÜRGEN WEBER

„Ich sollte bei den Männern mitarbeiten. Aber ich trug einen langen Rock, hatte lange Haare und verhielt mich wie eine Frau.“ Für Sou Southeavy, die wie alle BewohnerInnen Phnom Penhs nach der Eroberung der Stadt durch die Roten Khmer am 17. April 1975 zwangsevakuiert und zum Arbeiten auf dem Land gezwungen wurde, begann so eine mehrjährige Leidensgeschichte, die sie in kambodschaniche Gefängnisse und Umerziehungslager brachte.

Als „moralisch verwerflich“ wurden Transgender von den durch die chinesische Kulturrevolution inspirierten Roten Khmer verurteilt. Die als Mann geborene Sou Southeavy wurde deshalb wiederholt angegriffen und von Soldaten und Kadern der Roten Khmer vergewaltigt. Sie wurde gezwungen, eine Frau zu heiraten und Sex mit ihr zu haben, doch anders als viele Transgender und andere „moralisch verwerfliche“ Frauen und Männer überlebte sie.

Sie sei glücklich, dass sie ihre Geschichte nun erzählen könne, sagte die heute 68-Jährige kürzlich in Phnom Penh. Sou Southeavy ist die erste Betroffene, die vor dem internationalen Tribunal in Phnom Penh gegen Exführer der Roten Khmer Beschwerde wegen sexueller Gewalt eingelegt und die Zulassung als Nebenklägerin beantragt hat. Knapp 30 Jahre nach Ende des Pol-Pot-Regimes hat die juristische Aufarbeitung gegen fünf Exmitglieder der Staatsführung begonnen. Ermittlungen wegen sexueller Gewalt fehlten bisher.

Dabei legen Studien nahe, „dass sexuelle Gewalt während der Roten-Khmer-Herrschaft bei Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und möglicherweise auch Genozid eingesetzt wurde“, wie die Anwältin der Nebenklage, Silke Studzinsky, sagt. Die Anordnungen, die gegen ihre Mandantin erlassen wurden, darunter der Geschlechtsakt mit einer Frau, müssten deshalb innerhalb der Verbrechen von Vergewaltigungen betrachtet werden. Die Beschuldigten trügen die Verantwortung für die Taten der Soldaten und Kader, die im Rahmen einer generellen Politik über sexuelles Verhalten erfolgten.

Über Sex, Beziehungen und sexuelle Gewalt wird in Kambodscha öffentlich nicht gesprochen. „Ein verbreiteter Glaube ist, dass alle Opfer von sexualisierter Gewalt (unter den Roten Khmer), besonders bei Vergewaltigungen, nach der Tat ermordet wurden“, schreibt Nakagawa Kasumi, Dozentin für Gender-Studies in Phnom Penh, in einer Studie. Dieser Mythos werde aus Angst vor Diskriminierung noch bekräftigt. Die Opfer schwiegen, häufig aus Angst vor den Tätern. Laut dem Psychologen Muny Sothara, der Opfer und Zeugen auf das Tribunal vorbereitet, haben vor allem Frauen große Probleme, offen über Missbrauch zu sprechen. Sie seien traumatisiert und schämten sich dessen, was ihnen angetan wurde. Dass sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen – vor allem während Inhaftierungen und gegenüber Angehörigen ethnischer Minderheiten – in großem Ausmaß stattfanden, belegen mehrere Studien. Auch mussten Frauen für führende Kader Köchinnen und Haushälterinnen sein, was sexuelle Dienste einschloss. Da Vergewaltigungen auch auch für Kader als Kapitalverbrechen galt, wurden Opfer meist sofort umgebracht, um keine Aussagen machen zu können. Die Angaben über das genaue Ausmaß sexueller Gewalt und auf die Genitalien gerichtete Folter sind widersprüchlich. HistorikerInnen sind sich aber einig, dass mit wachsender Kontrolle durch Kader das Ausmaß sexueller Gewalt geringer wurde.

Die Zwangsheiraten unter Pol Pot gelten noch heute vielen als extreme Form traditionell arrangierter Ehen. Unter den Roten Khmer, die die traditionellen Familienbeziehungen zerstören wollten, konnte die durch Kader vorgenommene Wahl des Ehepartners nicht abgelehnt werden, sonst drohte die Hinrichtung. Oft wurden bis zu 30 Paare in Massenhochzeiten ohne traditionelle Zeremonien im Schnellverfahren getraut. Zur Überprüfung des Geschlechtsakts wurden Spione unter die auf Stelzen stehenden Häusern postiert. Von April 1975 bis Anfang 1979 wurden geschätzte 210.000 Frauen zwangsverheiratet. Die meisten dieser Zwangsehen wurden nach Pol Pots Sturz annulliert.