Gay in training

Ist Kevin Spacey schwul? Zum 17. Mal wurde der Teddy, der lesbisch-schwule Filmpreis der Berlinale verliehen

Wenn es einen Filmhimmel gibt, saß dort Freitagnacht Manfred Salzgeber in einem Kinosessel und sah wahrscheinlich mit einiger Zufriedenheit, was aus seinem Teddy geworden ist. Vor 17 Jahren hatte der ehemalige Leiter der Panorama-Sektion zusammen mit Wieland Speck den lesbisch-schwulen Filmpreis ins Leben gerufen, den einzigen Preis dieser Art eines A-Festivals weltweit. Aus der kleinen, improvisierten Veranstaltung ist derweil die größte Berlinale-Party überhaupt geworden.

Mittlerweile wirft sich sogar schon eine Katja Riemann als Pussy Galore in Schale, um gemeinsam mit einem befrackten James Bond alias Ulrike Folkerts einen Teddy zu überreichen. Auf der Veranstaltung bevölkern 4.000 Besucher und eine Heerschar von Reportern das Tempodrom, man würde es inzwischen wohl als Affront empfinden, wenn nicht sowohl Festivalleiter Kosslik und als auch der Regierende Bürgermeister ein Grußwort sprächen.

Dieter Kosslik bezeichnet sich scherzhaft als „able to switch“ und „gay in training“ und schmeißt sich so an die lesbisch-schwule Gemeinde heran. Zudem liefert er unverhofft und wahrscheinlich unbeabsichtigt auch noch das Coming-out Kevin Spaceys, in dem er „ganz spezielle Grüße“ des US-Schauspielers ausrichtet. Die amerikanische Festivalbesucherin aus Ohio auf dem Platz neben mir johlt und ist überhaupt „really surprised“. Eine solche Veranstaltung, sagt sie, hätte sie nicht erwartet. Als dann aber Wowereits Rede in einen Aufruf zur Teilnahme an der Friedensdemo mündet und der Saal losjubelt, schaut meine Sitznachbarin erst irritiert, dann verärgert. Und ihre gute Laune war dann endgültig verflogen, als der Preisträger des Teddys für den besten Spielfilm bekannt gegeben wurde.

Der Mexikaner Julián Hernández erhielt ihn für den Film mit dem längsten Titel: „Mil nubes de paz ceran el cielo, amor, jamás acabarás de ser amor“, zu deutsch „Tausend Wolken des Friedens belagern den Himmel, Liebe, du wirst nie aufhören, Liebe zu sein“. In langen Einstellungen und mit ruhigen Schwarzweißbildern schildert Hernández die quälende Liebessehnsucht eines jungen Mannes. Ein um Poesie bemühter, über Strecken aber einfach nur prätentiös und bedeutungsschwanger geratener Debütfilm.

Künstlerisch innovativ waren die wenigsten der rund 30 Teddy-Anwärter in diesem Jahr. „Schrille Stoffe und biederes Handwerk“, beklagte der Korrespondent der Frankfurter Rundschau. Eher klassisch in der Machart, aber pointiert geschnitten und zudem überaus unterhaltsam ist Jochen Hicks „Ich kenn keinen – Allein unter Heteros“, in dem er einen Schwulen in der schwäbischen Provinz porträtiert und dafür als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde. Ein auf den ersten Blick sehr komischer Film, auf den zweiten aber zeigt sich die Kluft zwischen jenen, die es auf dem Dorf zwischen Anfeindung und Geduldetsein aushalten, und den in der Ghettoidylle lebenden Großstadtschwulen.

Einen ebenso wenig „schrillen Stoff“ behandelt der Gewinner des Kurzfilm-Teddys „Fremragende Timer“. Die Norweger Lars Krutzkoff Jacobsen und Jan Dalchow zeigen anhand einer Affäre eines 15-Jährigen mit einem erwachsenen Mann die Unsinnigkeit eines höheren Schutzalters für schwulen Sex. Auch „The Event“ widmet sich einem ernsten Thema. Ein aidskranker Mann bittet seine Mutter und seine lesbisch-schwule Wahlfamilie ihm seinen letzten Wunsch zu erfüllen: ihm den Freitod zu ermöglichen. Thom Fitzgeralds melodramatischer Film hat mit Olympia Dukakis einen schauspielerisch herausragenden Star. Das überzeugte die Leserjury der Siegessäule. Und wahrscheinlich auch Manfred Salzgeber auf seinem himmlischen Logenplatz.

AXEL SCHOCK