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uli hannemann, liebling der massenIch wollt’, ich wär kein Huhn

Beim Joggen kommen mir zwei Mädchen entgegen. Sie lachen. Eines von ihnen vollführt skurrile Flatterbewegungen mit den Armen. Es sieht aus wie ein Huhn, das verzweifelt versucht, mit seinen Stummelflügeln abzuheben. Ich fürchte, die äfft mich nach.

Der Verdacht erhärtet sich zur Gewissheit, als ich die beiden passiere und sie mir frech zuruft: „Ey, Sie müssen nicht so machen, sondern so.“ Um mir zu zeigen, wie, legt sie die Arme an und schwingt diese eng am Körper vorbei, so wie ich es immer bei anderen Läufern beobachte. Einerseits lasse ich mich nicht gern von Jugendlichen verarschen, andererseits möchte ich mich gern als humorvoller und souverän über den Dingen stehender Erwachsener präsentieren.

„Lauft ihr doch erst mal“, gebe ich einfallslos zurück. Es klingt eingeschnappt und obendrein durch den schweren Atem mühsam gepresst. Die Mädchen lachen mich aus, sie haben gewonnen. Ich bin eine Witzfigur, die mit den Ärmchen vergeblich dagegen anrudert, nicht vollends von ihrem absteigenden Ast herunterzupurzeln, und ich weiß es. Ich bin den Tränen nahe, wie eigentlich sowieso immer. Danach koche ich innerlich. Wieder und wieder läuft in meinem Kopf die Tonspule zum Film meiner Erniedrigung ab: „Ey, Sie müssen nicht so machen, sondern so!“ – „Lauft ihr doch erst mal!“ Warum ist mir bloß nichts Besseres eingefallen? Diese kleinen, äh?, Frettchen, jawohl, Frettchen! Denen werde ich’s zeigen. Im Verlauf meiner nächsten Runde werden wir uns wieder begegnen und dann kriegen sie von mir den supercoolen Spruch schlechthin. So langsam, wie ich laufe und sie schlendern, habe ich bestimmt acht Minuten Zeit, mir etwas wirklich Schlagfertiges auszudenken.

Ich überlege fieberhaft. Zum Beispiel könnte ich gar nichts sagen und sie mit Missachtung strafen. Obwohl es dazu jetzt vielleicht ein bisschen spät wäre? Ich habe schließlich schon was gesagt, einen Scheißdreck habe ich gesagt, eine schwere Hypothek. Umso gelungener muss jetzt das Schlagfertige werden, das ich mir hoffentlich ausdenke.

„Seid doch still!“ Hm. Nein, das überzeugt mich nicht. „Ich mach das, wie ich will“, „Das geht euch gar nichts an“ oder „Geht weiter, es gibt hier nichts zu sehen“? Lau, lahm. Langweilig. Ich fürchte, schlagfertig ist anders.

Apropos schlagfertig: Ich könnte ihr einfach volle Lotte in die Fresse hauen. Ich schätze sie auf etwa zwölf Jahre – das müsste sich für mich also relativ gefahrlos erledigen lassen. Und womöglich gingen auch nur Milchzähne flöten – ich will ja keine bleibenden Schäden, obwohl ihr Spruch mich wirklich bis ins Mark getroffen hat. Nein, es gibt zu viele Zeugen hier. Ich muss mir wohl doch was Subtileres einfallen lassen. Eine ironische Zustimmung vielleicht, so in der Richtung: „Ihr habt ja recht. Ich mach’s sofort anders!“ Aber das verstehen sie dann wieder nicht, die kleinen Hühner, und sie sollen sich schon ärgern, so wie ich mich vorher geärgert habe. Wie wäre es, wenn ich meinem Geflatter noch analoge Tänzelschritte beifügte und laut riefe: „Seht her: Es ist nur ein Tanz!“ Ich verwerfe die Idee, da mich eine Ahnung beschleicht, mich so nur noch tiefer in die Blamage zu reiten.

Oder ich sage einfach: „Ihr Blödsäue!“ Ja, das mache ich. Wenn mir bis zum Wiedersehen nichts Passenderes in den Sinn kommt, sage ich zu ihnen: „Ihr Blödsäue!“ und gucke gleich weg und halte mir die Ohren zu, die Arme wedeln ja ohnehin schon in Kopfnähe rum. So sehen sie, dass es keinen Zweck hat, wenn sie antworten „Sie Blödarsch“, weil ich nichts hören kann, und dann hab ich gewonnen.

Au weia, ich bin schon ziemlich weit. Gleich müssten sie wieder in Sicht kommen, und alles, was ich habe, ist ein mageres „Ihr Blödsäue“. Acht Minuten Brainstorming sind für mich deutlich zu kurz, um schlagfertig zu sein. Weit entfernt mache ich die Mädchen nun auf der Wiese aus. Zum Glück kommen sie mir nicht auf dem Weg entgegen. Ich bin erleichtert, weil ich doch mit meiner Antwort noch nicht so weit bin. Für den Fall, dass sie mich aus der Ferne dennoch wiedererkennen, winkle ich vorschriftsmäßig die Arme an.

ULI HANNEMANN

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