Für Europäer verboten

Die europäischen Befürworter eines Militärschlages gegen Irak vergessen: Die Grundsätze des EU-Vertrages verbieten die Beteiligung an Angriffskriegen

Wenn sich Großbritannien an einem Angriffskrieg beteiligt, verstößt dies gegen EU-Verfassungsrecht

Heute treffen sich die EU-Mitgliedstaaten auf einem Sondergipfel, um doch noch eine gemeinsame Position in der Irakfrage zu erringen. Dies scheint nahezu aussichtslos – zu sehr sind die Standpunkte der Länder des „alten“ Europa von denen des „neuen“ entfernt. Frankreich und Deutschland auf der einen, Großbritannien, Spanien, Italien, Dänemark und Portugal auf der anderen Seite – mit der Zustimmung der Beitrittsländer Polen und Ungarn im Rücken.

Doch ist der rechtliche Handlungsspielraum dieser kriegsbefürwortenden Staaten geringer, als die derzeitige Debatte erkennen lässt. Das europäische Verfassungsrecht setzt nämlich schon heute – auch ohne geschriebene europäische Verfassung – der Außen- und Sicherheitspolitik der derzeitigen und zukünftigen EU-Mitgliedstaaten Grenzen, die bei einer Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Irak überschritten würden.

Da ist einmal die „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“, die nach dem EU-Vertrag unter anderem auf die Wahrung der gemeinsamen Werte und des Friedens sowie die Stärkung der internationalen Sicherheit entsprechend der Charta der Vereinten Nationen gerichtet ist. Sie soll auch von den EU-Mitgliedstaaten loyal unterstützt werden, allerdings mit Sonderregeln für ständige Mitglieder des Sicherheitsrates. Nur: Das alles spielt in der EU-Außenpolitik in der Irakfrage bislang kaum eine Rolle.

Bedeutsamer ist etwas anderes: Der EU-Vertrag enthält in seinem Artikel 6 die Verfassungsgrundsätze der Union. Sie umfassen Freiheit, Demokratie, die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie die Rechtsstaatlichkeit. Auf diesen Grundsätzen beruht die Union, heißt es im Vertrag, und diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Mit anderen Worten: Diese Grundsätze wirken auch als Bindung auf die Mitgliedstaaten zurück. Bei ihrer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung kann man nach einem Kontrollmechanismus, der im Artikel 7 des EU-Vertrages festgeschrieben ist, im äußersten Fall sogar Stimmrechte auf europäischer Ebene verlieren.

Wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ in Österreich ist dieses Verfahren erstmals in Betracht gezogen worden. Nicht zuletzt ist die Achtung dieser Grundsätze aus Artikel 6 Voraussetzung für einen Beitritt zur Europäischen Union. Die Bindung an diese Fundamentalgrundsätze erstreckt sich auf alles mitgliedstaatliche Handeln. Nimmt man diese Regelung ernst, ist auch die Außenpolitik eines EU-Mitgliedstaates erfasst.

Was heißt das konkret? Ganz einfach: Die Beteiligung an einem völkerrechtlich verbotenen Angriffskrieg ist nicht mit den Grundsätzen aus Artikel 6 EU-Vertrag vereinbar. Wenn sich die Mitgliedstaaten in Artikel 6 EU-Vertrag gegenseitig versprechen, rechtsstaatlich zu bleiben, dann bedeutet Rechtsstaatlichkeit auch die Einhaltung des Völkerrechts und der Grundsätze der UN-Charta. Das Verbot eines Angriffskrieges ist zudem als Fundamentalprinzip in den Verfassungen verschiedener EU-Mitgliedstaaten verankert – etwa im Artikel 26 des deutschen Grundgesetzes, ähnlich in Artikel 11 der italienischen und Artikel 29 der irischen Verfassung. Von dort wirkt es auf die Fundamentalprinzipien der EU zurück.

Nationale und europäische Verfassungsgrundprinzipien bedingen sich gegenseitig. Sie sind Ausdruck der gemeinsamen Verfassungsüberzeugungen der Mitgliedstaaten. Das europäische Verfassungsrecht beinhaltet daher ein Friedensgebot nicht nur für die gemeinsame EU-Außenpolitik, sondern auch für die Außenpolitik der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Konkret: Wenn sich beispielsweise Großbritannien an der Seite der USA an einem Angriffskrieg beteiligt, verstößt es nicht nur gegen das Völkerrecht, sondern auch gegen das Verfassungsrecht der Europäischen Union.

Nun wird sich eine Hegemonialmacht wie die USA nur begrenzt auf rechtliche Argumentationen einlassen, sodass der Gedanke an eine völkerrechtliche oder völkerstrafrechtliche Verantwortlichkeit der USA oder ihrer Politiker vor einem internationalen Gericht derzeit nicht als relevant erscheinen. Gegenüber Großbritannien, Polen und anderen gegenwärtigen und auch künftigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union aber, die sich durch ihre Beteiligung an der europäischen Integration freiwillig zusätzlichen Rechtsbindungen unterworfen haben oder unterwerfen wollen, könnten diese Bindungen weit deutlicher eingefordert werden.

Der rechtliche Handlungsspielraum der Kriegsbefürworter ist geringer, als die Debatte erkennen lässt

Zwar ist der hohe moralische Ton, der gegen Haider-Österreich angestimmt wurde, schon gegenüber Berlusconi-Italien wieder verstummt. Nicht zuletzt aufgrund dieser Erfahrung wird der Kontrollmechanismus des Artikel 7 des EU-Vertrages allgemein als unbefriedigend angesehen. Und auf den Artikel 6 des EU-Vertrages kann man sich vor dem Europäischen Gerichtshof ohnehin nicht berufen, hat man doch genau diesen Passus von dessen Zuständigkeit ausgeschlossen. Dennoch: Thematisiert werden sollte es schon, wenn sich einzelne Beitrittskandidaten oder Mitgliedstaaten außerhalb des EU-Verfassungskonsenses stellen.

Der Beitritt zur EU hängt von der Achtung der genannten Grundprinzipien ab – noch sind die Beitrittsverträge nicht ratifiziert. Gegenüber aktuellen Mitgliedstaaten kann der Kontrollmechanismus des EU-Vertrages durch andere Mitgliedstaaten, durch die Europäische Kommission oder das Europäische Parlament ausgelöst werden. Realistischerweise wird man nicht erwarten dürfen, dass das außenpolitische Irakproblem um diesen innereuropäischen Konflikt ergänzt wird. Andererseits: Wenn die Regierungen vollauf mit der Abwehr von amerikanischen Anfragen oder der Klärung ihrer Haltung dazu beschäftigt sind – wäre dies nicht zumindest die Stunde der Volksvertretungen, entweder des Europäischen oder aber doch der nationalen Parlamente?

Eine Debatte oder auch nur eine parlamentarische Anfrage sollten die gemeinsamen Verfassungsgrundlagen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten eigentlich wert sein. Jedenfalls können die Unionsbürger ihre Regierungen auch an diese gemeinsamen Verfassungsgrundlagen der EU erinnern. Die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen und die Rücknahme eigener Souveränitätsbehauptungen zugunsten multilateraler Zusammenarbeit bis hin zur Verfassungsdimension erreichenden regionalen Integration in Europa sind eine der größten zivilisatorischen Fortschritte des 20. Jahrhunderts nach 1945 – übrigens maßgeblich durch die USA mit befördert. Unilateralismus und Entrechtlichung der internationalen Politik bis hin zur Gewaltanwendung nach eigenem Interesse sind hingegen ein Rückschritt in die Zeit des 19. Jahrhunderts, in die Zeit des alten Europa. Die Irakfrage ist ein Test dafür, inwieweit die Europäische Union wirklich auf gemeinsame Werte gegründet ist, wie belastbar die EU-Verfassungsidee ist und, in der Tat, wer in der EU zum alten Europa und wer zum neuen Europa gehört. FRANZ MAYER