London gegen Stau und Terror

Linker Bürgermeister der britischen Hauptstadt führt heute die Straßenbenutzungsgebühr für Autofahrer ein. Kontrolle durch 800 Überwachungskameras, die im Auftrag des Geheimdienstes gleichzeitig verdächtige Gesichter und Gestalten erkennen

aus London RALF SOTSCHECK

London-Reisende werden ab heute zur Kasse gebeten – wenn sie mit dem Auto kommen. Londons Bürgermeister, der aus der Labour Party ausgeschlossene „rote Ken“ Livingstone, hat eine Staugebühr von fünf Pfund pro Fahrt in die Innenstadt eingeführt. Wer täglich in die City will, muss 1.250 Pfund im Jahr berappen. Die gebührenpflichtige Zone umfasst die Stadtteile Westminster, City, Elephant & Castle und Soho. Deren Einwohner zahlen nur zehn Prozent.

Mit der Staugebühr will Livingstone die englische Hauptstadt entlasten, wo 40 Prozent aller Staus in Großbritannien auftreten. Wenn Livingstones Plan aufgeht, soll die gebührenpflichtige Zone ausgeweitet werden. Andere britische Städte mit Stauproblemen beobachten das Projekt mit Interesse, selbst die Labour-Regierung unterstützt es insgeheim, wenn sie auch offiziell nicht mit Premierminister Tony Blairs linkem Widersacher in Verbindung gebracht werden will.

Die Stadtverwaltung hat 800 Kameras aufgestellt, die nicht nur die Zufahrtsstraßen überwachen, sondern auch die Innenstadt, falls sich Fahrer über den Gehweg an den Kameras vorbeimogeln, wie es in Rom gerne gemacht wird. Gleichzeitig sollen die Kameras der Abwehr von Terrorattacken dienen. Die Geheimdienste haben an der Entwicklung mitgearbeitet. So enthält das System eine Software, die Gesichter erkennt und bei Gesuchten Alarm schlägt.

Die Idee für eine Straßenbenutzungsgebühr stammt von dem rechten Ökonomen Milton Friedman, zu dessen Anhängern Margaret Thatcher und General Pinochet gehören. Er forderte bereits vor 52 Jahren, dass Autofahrer proportional zur Nutzung der Straßen bezahlen sollen. Livingstone hält seine Staugebühr für eine Besteuerung der Reichen. Die Statistik gibt ihm Recht: 88 Prozent der Autofahrer, die täglich in die Innenstadt fahren, gehören zur reichen Hälfte der Londoner Einwohner. Die 130 Millionen Pfund, die durch die Gebühr jedes Jahr hereinkommen, werden in den öffentlichen Nahverkehr investiert. Und der hat es nötig. Verkehrsexperten befürchten, dass U-Bahn und Busse mit den neuen Passagieren, die ihr Auto ab heute stehen lassen, völlig überfordert sind. Die „Tube“, wie die Londoner ihre heruntergewirtschaftete U-Bahn nennen, steht vor einer Zerreißprobe.

Freilich gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Gebühr zu vermeiden. Manche davon sind legal, die meisten sind es nicht. Neben der Möglichkeit, den Wagen in der Garage zu lassen, kann man auf elektrische oder gasbetriebene Autos umsteigen. Die sind von der Staugebühr befreit. Tony Vickers vom Verband britischer Autofahrer schlägt dagegen vor, die Gebühren einfach nicht zu zahlen, sondern die Rechnungen mit dem Vermerk zurückzuschicken, es handle sich um eine falsche Adresse. „Damit richtet man ein Verwaltungschaos an“, hofft Vickers, der diese Aktion für legal hält.

Illegal ist es, ein Nummernschild anzumontieren, das auf Knopfdruck verschwindet, so dass es von den Kameras nicht gelesen werden kann. Solche Schilder sind seit Anfang des Jahres für 150 Pfund im Internet erhältlich – nach 30 Fahrten in die Innenstadt hat sich die Investition amortisiert. Ebenso verboten ist es, die Nummernschilder mit Schlamm zu verschmieren.

Mit solchen Kinkerlitzchen halten sich die „Motorists Against Detection (MAD)“ gar nicht erst auf. Die 200 Mitglieder planen Sabotageakte an den Kameras. „Nicht jede Kamera kann bewacht werden“, sagt MAD-Sprecher „Captain Gatso“ und zitiert Blair: „Wir müssen Präventivschläge führen.“