: Die Schule der Gottlosigkeit
Der serbische Schriftsteller Aleksandar Tišma ist verstorben
„Auf ihn konnten wir uns berufen, wenn wir in die Welt wollten“, schrieb der Literaturwissenschaftlers Predrag Palavestra in der Belgrader Politika und fasste damit zusammen, welchen Platz der am Wochenende in Novi Sad verstorbene 79-jährige Schriftsteller Aleksandar Tišma in seinem Heimatland und darüber hinaus einnahm.
Tišma wurde 1924 in der Nord-Vojvodina geboren. Als Sohn einer Jüdin und eines Serben entging er als Jugendlicher dem Holocaust durch seine Flucht nach Budapest. Am Ende des Krieges schloss er sich der Partisanenbewegung unter Tito an. Während der Kriegsjahre begann er zu schreiben. Zunächst widmete er sich neben seinem Beruf als Journalist der Lyrik, seit Beginn der 60er-Jahre veröffentlichte er Erzählungen und Romane. Seinen Durchbruch feierte er 1976 mit dem Buch „Der Gebrauch des Menschen“.
In der Bundesrepublik wurde Tišma erst entdeckt, als er – nach eigener Aussage – sein Lebenswerk bereits abgeschlossen hatte. 1991, zeitgleich mit dem Beginn der jugoslawischen Kriege, erschien im Hanser Verlag „Der Gebrauch des Menschen“. Der Roman wurde begeistert aufgenommen. Der Verlag besorgte in den 90er-Jahren die Übersetzung der weiteren, zum Hauptwerk „Das Pentateuch“ gehörenden Werke: „Buch Blam“, „Der Kapo“, „Die Schule der Gottlosigkeit“ und „Treue und Verrat“.
Tišmas Thema war das menschliche Böse. Tief geprägt durch seine Kriegserfahrung erstaunte er durch seine kalte Beschreibung von Folter und Mord, von seelischer Gleichgültigkeit und innerer Verödung. Vor dem Hintergrund der jugoslawischen Nachfolgekriege erschien sein Werk weniger als Allegorie aktueller Ereignisse als vielmehr als allgemeingültige Beschreibung der Schrecken des 20. Jahrhunderts, in die sich die ethnischen Säuberungen in Kroatien und Bosnien nahtlos einreihten.
Seine öffentlichen Anmerkungen zu den gewaltsamen Geschehnissen des jugoslawischen Zusammenbruchs wirkten aufgrund der intellektuellen Distanziertheit manchmal zynisch. Seine Bücher waren jedoch zweifellos „humanistisch“, wie man in den Feuilletons schrieb. Er selbst floh vor der materiellen und seelischen Zerstörung 1992 ins französische Exil. Erst drei Jahre später, mit dem Ende des Bosnienkrieges, kehrte er in seine Heimatstadt Novi Sad zurück.
In den letzten Jahren schrieb Tišma ausschließlich Tagebuch. Vor kurzem sind sie in Belgrad unter dem Titel „Tagebuch 1942–2001“ erschienen. HEIKO HÄNSEL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen