Zwei Supermächte auf der Welt

Die USA sind nicht allein, belehrte die „New York Times“ den US-Präsidenten: Auch die Öffentlichkeit ist stark. Tony Blair bekam das ebenfalls zu spüren

Plötzlich gerät der einst als „sexy Rumsfeld“ gefeierte Pentagonchef mit seinen Pöbeleien zur Belastung

aus Dublin und WashingtonRALF SOTSCHECK
und MICHAEL STRECK

Wie schnell sich das Blatt wenden kann. Manchmal reicht dazu ein Wochenende. Noch am Freitag ging die US-Regierung offensiv in den UN-Sicherheitsrat, hoffte auf einen Inspektorenreport, der den Irak verurteilt und ihre Position für einen raschen Waffengang unterstützt. Es wurde jedoch eine diplomatische Niederlage für Außenminster Colin Powell, der die brennendste Frage nicht beantworten konnte: Warum die Eile?

Diese Frage schallte dann dem Weißen Haus am Samstag von Millionen Menschen aus aller Welt entgegen. Auch das eigene Volk zeigt wenig Kriegslust, glaubt an den langfristigen Erfolg von Inspektionen und ging zu hunderttausenden auf die Straße. Am Sonntag legten 200.000 Menschen in San Francisco zu den Protesten vom Vortag noch einen drauf. Sie trugen Plakate mit der Aufschrift „France – Merci, Germany – Danke“, die Präsident George W. Bush wie ein Schlag ins Gesicht empfinden muss. Über die Konsequenzen des öffentlichen Aufschreis konnten Bush und seine Berater dann am Montag ausführlich nachdenken. Schließlich war „Presidents’ Day“, ein Feiertag in Amerika, und Bush auf seinem Wochenendsitz Camp David ohnehin eingeschneit.

Der heftige Wintersturm an der Ostküste beherrschte zwar die Schlagzeilen und Gemüter, doch wurde der weltweite Massenprotest gegen die US-Außenpolitik keineswegs vom Schnee verschüttet. Das Medienecho war enorm. Kommentatoren, überrascht von der Reichweite der Proteste, mussten auf einmal dem heimischen Fernsehpublikum erklären, warum ihr Land überall so unbeliebt ist. Und die New York Times errinnerte die Bush-Regierung daran, dass es auf der Erde offenbar „zwei Supermächte gibt: die USA und die Weltöffentlichkeit“.

Die ersten politischen Reaktionen sind ambivalent, zeigen jedoch, dass der weltweite Sturm der Entrüstung seine Spuren in Washington hinterlassen hat. Da sind zunächst jene, die raten, Bush soll die Demonstranten ignorieren und seine Pläne unbeirrt verfolgen. Senator John McCain empfand es als „töricht“, im Namen des irakischen Volkes zu protestieren. Dem würde es viel besser gehen, wenn es von der brutalen Diktatur befreit sei. Und Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice glaubt, die Demonstrationen würden nur in die Hände von Saddam Hussein spielen.

Doch zahlreiche Stimmen mahnen die US-Regierung, sie ernte nunmehr, was sie mit ihrer ignoranten, schroffen und unilateralen Außenpolitik gesät habe. Sie drängen Bush, seine Haltung gegenüber den Verbündeten, vor allem in Europa, zu überdenken. „Wir müssen mit unseren Freunden viel respektvoller umgehen“, sagte Nato-General Wesley Clark. Der Mann, der mit der Präsidentschaft liebäugelt, übte scharfe Kritik am Politikstil der Bush-Regierung. Sie habe ihre europäischen Partner zwei Jahre vor den Kopf gestoßen und bekäme nun dafür zu Recht die Quittung. In der Irakkrise setzt er vorerst auf Diplomatie statt auf Waffen. „Wir brauchen mehr Zeit, nicht für mehr Inspektionen, aber für unsere Alliierten.“

Wie sehr sich das Weiße Haus auf einmal in der Defensive befindet, zeigt die Person Donald H. Rumsfeld. Plötzlich wird eingeräumt, dass der einst als „sexy Rumsfeld“ gefeierte Pentagonchef mit seinen verbalen Entgleisungen eine Belastung ist. Der von ihm angerichtete Schaden sei so kontraproduktiv für die US-Interessen, sagt Michael O'Hanlon vom Brookings Institut in Washington, dass „es besser wäre, wenn er sich ganz zurückhält oder zurücktritt“.

Auch für Tony Blair war es keine gute Woche. Erst machte der milde Blix-Bericht Blairs Pläne für eine schnelle UN-Kriegsresolution gegen den Irak zunichte, dann demonstrierten am Samstag bis zu zwei Millionen Menschen gegen ihn. Und gestern brachten ihm die über 450 Professoren, Dozenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter der Cambridge University eine Antikriegsresolution nach Hause in die Downing Street.

Blair reagierte trotzig und schickte seine Minister ins Rennen. „Die Demonstrationen ändern gar nichts“, sagten sie unisono, und ein Blair-Vertrauter, der nicht genannt werden wollte, fügte hinzu: „Je schneller die Sache vorbei ist, desto besser. Jetzt klein beizugeben wäre das schlechteste Ergebnis. Wir würden unsere Glaubwürdigkeit verlieren, bliebe Saddam im Amt.“

Der Labour-Vorsitzende John Reid beschuldigte die Demonstranten, dass sie gar nichts unternehmen wollen. „Das würde einen Status quo bewahren, unter dem Menschen ermordet und gefoltert werden, unter dem Menschen sterben und verhungern“, sagte er. John Prescott, der stellvertretende Premierminister, pries Blairs „Mut, Integrität und Ehrlichkeit angesichts der Krise“. Er glaubt, der Krieg könne in sechs Tagen gewonnen werden. „Vertraut Tony“, bat er die Delegierten auf dem kleinen Labour-Parteitag in Glasgow am Samstag.

Blair hofft, dem UN-Sicherheitsrat eine zweite Resolution vorlegen zu können, wenn Blix seinen nächsten Bericht am 28. Februar vorlegt. Die Minister sind optimistisch und glauben, dass die Meinung der Bevölkerung zugunsten des Krieges umkippen werde, sobald eine zweite UN-Resolution vorliegt. Sollte die jedoch ausbleiben, bekäme Blair Probleme mit seiner eigenen Partei, räumten mehrere Minister ein. Es könnte Parteiaustritte hageln. Alice Mahon vom linken Labour-Flügel sprach offen davon, dass Blair vielleicht gestürzt werde, falls er den UN-Inspektoren nicht mehr Zeit gebe. „Natürlich spricht man davon“, sagte sie. „Es ist sinnlos, das zu leugnen.“