Schockpistolen, Schnüffelei und Verleumdung

Prozess gegen französischen Trotzkist Olivier Besancenot wegen Kritik an Pistole „Taser X26“ gestartet.

PARIS taz ■ Rendezvous im Strafgericht von Paris: Die Spitzen der französischen Linken versammeln sich am Montag Nachmittag im Justizpalast. Sozialisten, Kommunisten und Grüne zeigen dem Chef der trotzkistischen Organisation LCR, Olivier Besancenot, ihre Solidarität.

Der Ex-Präsidentschaftskandidat Besancenot ist wegen „Verleumdung“ angeklagt. Das Unternehmen SMP Technologies, das die Pistole „Taser X26“ in Frankreich vertreibt, verlangt einen Schadensersatz von 50.000 Euro, weil Besancenot auf seinem Blog über die Todesfälle in den USA infolge des Einsatzes der Elektroschockpistolen geschrieben hat. Wie zahlreiche andere Kritiker verlangt Besancenot ein Moratorium und Vorabuntersuchungen über gesundheitliche Folgen der 50.000-Volt-Stöße, bevor die französische Polizei und das Militär die Waffe weiter benutzen dürfen. „Wenn ein Oppositionspolitiker nicht mehr das Recht hat, eine Waffe zu kritisieren, ist das ein Problem“, sagt Arlette Laguiller vor Beginn des Prozesses. Sie war lange Präsidentschaftskandidatin einer konkurrierenden trotzkistischen Gruppe.

Die gegnerische Seite, die Besancenot am Montag vor Gericht gebracht hat, ist in einem parallelen Verfahren selbst angeklagt. Gegen den Boss von SMP-Technologies, Antoine di Zazzo, sowie sechs weitere Personen, laufen Ermittlungen wegen illegaler Ausschnüffelei. In der vergangenen Woche saßen Di Zazzo sowie mehrere Polizisten, Zöllner und Privatdetektive in Polizeihaft. Der Chef von SMP-Technologies gibt zu, dass er 2007 eine Privatdetektei beauftragt hat, ihm Informationen über das Vermögen von Besancenot zu besorgen. „Ich ging davon aus, dass Besancenot und ich uns in den Medien gegenübertreten würden und er mit seiner Kapitalismuskritik ankäme“, hat Di Zazzo erklärt. „Da wollte ich mich auf einen Vergleich seines und meines Vermögens vorbereiten.“

Die Schnüffelaffäre, die sich auch auf das Leben von Besancenots Gefährtin und des gemeinsamen Kindes ausdehnte, wurde im Mai bekannt. Das Wochenmagazin Express veröffentlichte Details aus Schnüffeldateien, die an Stasi-Akten erinnern. Besancenot erstattete Anzeige wegen Verletzung der Privatsphäre.

Der Verdacht wegen der Schnüffelei fiel schnell auf SMP-Technologies, weil Besancenot einer der führenden Kritiker der Elektropistolen in Frankreich ist. Und weil der Waffenhersteller schon zuvor Kritiker vor Gericht gebracht hat – darunter die Menschenrechtsorganisation Raidh. In Deutschland wird die Elektrowaffe vorerst nur von Eliteeinheiten wie den SEKs benutzt. Ihr privater Besitz ist wegen ihres „spezifischen Gefährdungs- und Missbrauchspotenzials“ (Bundesregierung) verboten. In Frankreich werden seit 2004 immer neue Militär- und Polizeieinheiten damit ausgestattet. Im Augenblick befinden sich 4.530 Taser in französischen Polizeihänden. Sie kommen mehrfach im Monat zum Einsatz. Im September hat ein Dekret auch der Gemeindepolizei das Tragen der Elektropistole erlaubt. Mehrere Gemeinden haben einen Antrag auf Aufrüstung gestellt.

Besancenot und andere Taser-Gegner verlangen ein Moratorium für die Waffe. Nach Angaben von Amnesty International sind an den Folgen ihres Einsatzes bereits knapp 300 Personen in den USA gestorben. Darunter einzelne vor laufender Kamera.

DOROTHEA HAHN