Schöner Wohnen mit Terrorcolor

New Walls, please! Die A.S. Creation Tapetenstiftung fragte per Wettbewerb nach neuen Tapeten, Bremer Design-Studenten antworteten

Eine Alpenlandschaft: Ein azurblauer Gletschersee schmiegt sich still und friedlich zwischen zwei steile Berge in eine Talmulde. Auf der Wasseroberfläche spiegeln sich die schneebedeckten Gipfel. Ein Adler zieht gelassen seine Kreise. Eine Szene aus deutschen Schlafzimmern in den 70ern, als die Fototapete auf dem Vormarsch war.

Schon als der Mensch in Höhlen wohnte, begann er, seine vier Wände zu schmücken. Mit Tierfellen, Matten aus Schilf, eingeritzten Bildern oder Wandmalereien pflanzte unser Vorfahr den Samen für eine Pflanze, die die Jahrhunderte mit den seltsamsten Blüten überzog: Die Tapete wucherte. Auf die Wandmalereien folgten Bilderteppiche, Gobelins oder Stofftapeten.

Um 1700 eroberte die Papier- und Velourtapete die Wohnwelt. Damit war der Verkleidung der Wände kaum noch Einhalt geboten: Ein Siegeszug begann und eine Industrie verdiente sich eine goldene Nase. Bis – ja, bis die Rauhfasertapete alles andere verdrängte. Mit Bauhaus fing es an (“Der moderne Mensch hat weiße Wände“), nochmal kurz aufgebrochen durch Flower-Power-Psychedelik und den 70er-Fototapetenwahn. Seit den 80er scheint es endgültig: Funktionalität ist angesagt. Klare Farben, keine Fantasiewelten.

Daher staunte Bernd Bixte von der Bremer Hochschule für Künste nicht schlecht, als ihm die Ausschreibung der A. S. Crèation Tapetenstiftung in die Hände fiel: „Wo gibt‘s denn heute noch Tapeten?“ Der 56-jährige Design-Prof leitete die Ausschreibung an seine Studenten weiter. Graphik-Design-Student Christoph Speidel war begeistert von der „völligen Gedankenfreiheit“, die der Wettbewerb verhieß.

Tatsächlich bestand die Aufgabe nicht nur darin, eine Tapete, sondern ganze Raumwände zu gestalten. Zwölf HfK-Studenten beteiligten sich, erfanden abgedrehte Motive und probierten unkonventionelle Materialien. Björn Meiers Klett-Tapete beispielsweise, sehr funktional: Man nehme die in der Wohnung herumliegenden Klamotten – und klebe sie an die Wand.

Wer die intellektuelle Herausforderung liebt, versuche Jens Willemers Kreuzwort-Tapete: Durch das Ausfüllen des Kreuzworträtsels wird die Tapete interaktiv und der Wohnraum verändert sich stetig. Ebenfalls interaktiv ist Martina Kuhlmanns Thermo-Tapete, die auf Zimmertemperatur und Berührungen reagiert und ihre Farbe verändert. Aber auch die „klassische“ Muster-Tapete findet ihre Anhänger: Haifischzähne, Fliegenfänger oder mutierte Bambis mit fünf Beinen, Penis-Ornamente – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Schräg und stark ironisiert, was die aufstrebenden Designer so an die Wand brachten.

Christoph Speidel, 34, bekam den zweiten Preis für folgende Kollektion: High speed highway – eine Tapete, die permanente Bewegung und Verschiebung des Raumes assoziiert; Terrorcolor – urban camouflage an den eigenen vier Wänden für Leute, die Unruhe und Dynamik lieben; Stained – Blutflecken, durch regelmäßige Wiederholung zur Ordnung gebracht. Makaber? Ja, bestätigt Speidel, aber er habe den Wettbewerb auch als aktuelles kritisches Forum nutzen wollen. Die Preisverleihung fand im Januar auf der „Heimtextilmesse“ in Frankfurt statt.

Gewonnen hat übrigens ein Berliner Student mit einer Tapete aus elektronischem Papier, die den aktuellen Kontostand der Kreditkarte des Bewohners anzeigt. Wird uns die Tapeten-Industrie demnächst mit solcherart Wandbekleidungen überschütten? Bernd Bixte ist skeptisch: „Die hat eigentlich doch nur konventionell anmutende Muster aufgekauft, wie Kühe, Schweinchen oder skurrile Blumenmotive.“ Daniela Barth