Köstliche Wurstwelten

Der Leichenpräparator Gunther von Hagens hat ein noch lukrativeres Geschäft entdeckt

Von Hagens stößt ein Messer in das Bauchgewebe eines Leibes. Gedärm strömt heraus

Ich treffe den berühmten Leichenplastineur in seinem Heidelberger Labor. Es ist ein großer fensterloser Raum mit gekacheltem Boden. Unter der Decke hängen an Schiebebahnen Männer- und Frauenkörper. Drei Metzgergesellen ziehen die Leiber ein paar Meter weiter, bis sie über einer Brühwanne zu stehen kommen. „Heißes Wasser und Enthaarungsmittel“, murmelt ein großer, schlanker Mann, der jetzt durch Schlieren von Hirn und Brägen herantrottet. Er trägt einen schwarzen Filzhut, um den asketischen Leib schlottert eine Lederweste. An den Wänden lehnt sein Werk: „Körperwelten“ – menschliche Arm- und Beinstümpfe, Schädel, Muskelstränge, ganze Leichen ohne Haut, einzeln und zu malerischen Gruppen drapiert. Die Gruppen heißen „Die Nachtwache“, „Fellatio“ oder „Flotter Dreier“. Aber das ist vorbei, mit der Anatomie hat er abgeschlossen, seit ihm ein Münchner Gericht das Ausstellen der Plastinate untersagt.

„Mir reicht’s schon lange“, murmelt der Mann und streckt mir mit blutiger Chirurgenhand erstaunliche Kontoauszüge entgegen. „Gestatten, Professor Gunther von Hagens, Wissenschaftler, Aufklärer und Multimillionär.“ – „Müller, Gesundheitsamt“, stelle ich mich vor. „Na, endlich mal kein Jurist oder Kunstkritiker.“ Der Professor lacht bitter. „Ich komme wegen der Wurst“, sage ich. Der Professor streicht sich abwesend über die Stirn. „Ja, die Wurst. Eine Wurst haben sie aus mir gemacht. Aber ich werde ihnen Würste geben. Wurstwelten werde ich schaffen.“ Seine Stimme schrillt jetzt durch den Schlachtraum. Die Metzger werden blass. „Zack, an die Bunsenbrenner“, brüllt der Professor. Die Metzger spuren. „Das machen wir, um die Keime abzutöten. Bevor wir die Haut abziehen, werden auch die Augen herausgeschnitten, die sind als Plastinat nicht zugelassen.“ – „Jedenfalls nicht in der Wurst“, wage ich einen Scherz. „Jeder Mensch ist ein Wurst“, nuschelt von Hagens.

Die Metzger haben sechs Männerleichen von der Decke genommen und sengen im Akkord. Der Geruch von verbranntem Haar und Fleisch zieht durch das Labor. Von Hagens stößt ein Messer in das Bauchgewebe eines Leibes. Gedärm strömt heraus, dessen Dampf sich im Raum verliert. Die Leber hängt von Hagens separat an einen Haken.

„Ich will die Menschen emotional erreichen. Zeigen, wie’s drinnen aussieht“, sagt der Hutträger. Dann führt von Hagens mich in die Küche, wo Gattin Angelina zwischen Reagenzgläsern und Töpfen hantiert. „Um ein Wurstplastinat zu erhalten, mischt sie Fleisch und kochende Milch zu gleichen Teilen“, erläutert der Professor. Das Salz und die Gewürze gibt man bei, bevor das Fett hinzukommt. „Ein altes Hausrezept“, flötet Angelina. „Die fein gehackten Zwiebeln dünste ich im Fett gelb und kippe sie in den Sud. Am Ende wird alles in krause Schweinsdärme gefüllt und muss bei 80 Grad 30 Minuten ziehen.“ – „Keine chemischen Zusätze?“, frage ich. Von Hagens schüttelt den Kopf: „Alles Natur“.

Zum Schluss möchte ich den Verkaufsraum sehen. Sein „Atelier“ ist eine Rumpelkammer aus Vorder- und Hinterschinken, Tee-, Brüh- und Leberwürsten. Von Hagens steuert einen schwarzweiß glänzenden Fleischklumpen an: „Blutwurstpumpe mit Fettecken“, frohlockt der Professor. Er hat sie gerade an die Guggenheim Foundation, Berlin, verkauft für 120.000 Euro. „Und hier ,Fleischsalat El Alamein‘, der geht nach Bagdad.“ Ich drücke meine Stempel drauf („Nicht zum Verzehr geeignet“) und grinse: „Wie der alte Beuys gesagt hat, hinter dem Knochen wird gezählt!“ Von Hagens grinst zurück. Dann öffnet er eine Tiefkühltruhe. „Beuys? Den hab ich hier. In Scheiben.“

MICHAEL QUASTHOFF