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standbildJunge Löwin im Schneckenhaus

„Gero von Boehm begegnet Franziska Augstein“,(Di., 22.25 Uhr, 3sat)Wenn ich Cellistin wäre“, sagte Franziska Augstein zu Gero von Boehm, „hätte ich ein Stück auf dem Cello gespielt.“ Dann würde sich niemand für die 38-Jährige interessieren. Doch sie ist Journalistin, und als sie Ende November beim Staatsakt für ihren Vater Rudolf, den Gründer und Herausgeber des Spiegel, spontan nach vorn trat, um den Jesuiten Balthasar Gracian zu zitieren: „Den toten Löwen zupfen sogar die Hasen an der Mähne“ – da sahen viele schon die neue Herausgeberin.

Im 3sat-Gespräch glich das Löwenjunge nun mehr einer Schnecke, die sich bei vielen Fragen am liebsten in ihr Häuschen zurückgezogen hätte. Hatte sie bei der Trauerfeier noch den Spiegel abgewatscht, weil der den Alten nicht Karl Rudolf, sondern Rudolf Karl genannt hatte, sagte sie jetzt: „Ich lese den Spiegel sehr gerne.“ Wer die Hasen seien? „Im Großen und Ganzen einfach die Nachwelt, sofern sie sich nicht so verhält, wie es dem Löwen gemäß gewesen wäre.“

Wie sie es interpretiere, dass Chefredakteur Stefan Aust in der Trauer-Ausgabe des Spiegel ausgeschlossen habe, dass sich jemals wieder einer Herausgeber nennen dürfe? So, „dass Aust und Spiegel-Geschäftsführer Karl Dietrich Seikel nicht Herausgeber werden wollen“. Gero von Boehm, kein Geier, eher sanftmütiger Adler, umkreiste das Thema geduldig weiter: Ob für sie nicht ein Einstieg beim Spiegel logisch sei nach jeweils zwei Jahren Zeit, FAZ und SZ? „Das dürfen Sie mich nicht fragen.“ Aber: „Man muss sich alles vorstellen können.“ Das heißt: Wollen würde sie schon, wenn man sie fragen täte. Doch auch außerhalb des Spiegel zweifelt mancher, ob die promovierte Journalistin, die über die Leitung des FAZ-Sachbuchressorts hinaus bisher keine Führungsposition innehatte, das Amt ausfüllen könne.

Der Löwe-und-Hasen-Text geht übrigens so weiter: „Und spät zu siegen, hast du dieselbe Mühe, die dir gleich anfangs mehr genutzt hätte.“ Wenn man sich beim Spiegel erst mal an ein Leben ohne Herausgeber gewöhnt hat, braucht Franziska Augstein ihren Hut nicht mehr in den Ring zu werfen.

ALEXANDER KÜHN

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