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: Rächer auf dem Rathaus

Die Philadelphia Phillies wollen in der World Series Tampa Bay besiegen – und den Fluch des William Penn

William Penn ist nicht verletzt. Doch alle reden sie über ihn dieser Tage in Philadelphia. Denn das lokale Baseball-Team, die Phillies, hat die World Series erreicht. William Penn ist auch nicht der Pitcher der Tampa Bay Rays, vor dem die Phillie-Fans besondere Angst hätten im heute beginnenden Finale um die nationale Baseball-Meisterschaft. Penn ist längst tot, gestorben am 30. Juli 1718. Doch alle reden sie über ihn dieser Tage in Philadelphia. Phil Sheridan, Sportkolumnist des Philadelphia Inquirer, jubelte am Tag nach dem Final-Einzug: „Die Phillies in der World Series! Schreien Sie es so laut, dass es William Penn hören kann!“

Penn hatte noch keine Ahnung von einer Sportart namens Baseball. König Karl II. vermachte Penn 1681 ein riesiges Gebiet in der nordamerikanischen Wildnis. Penn nannte es Pennsylvania – und gründete noch im selben Jahr die Hauptstadt Philadelphia. Penn ist also der hoch verehrte Gründervater Philadelphias. Und der Gründervater hat die Stadt mit einem Fluch belegt. Das glauben zumindest die 1,5 Millionen Einwohner.

Es gab in Philadelphia das ungeschriebene Gesetz, dass kein Haus höher gebaut werden darf als die William-Penn-Figur oben an der Spitze des Rathauses. Doch 1984 hat sich die lokale Politik an diesem Gesetz vergangen – mit der Erlaubnis zum Bau des 60-stöckigen City Place. Höher als die Statue von William Penn! Und sie glauben an den Fluch des William Penn, denn seit das Basketball-Team, die 76ers, im Jahr vor der Hochhaus-Entscheidung die Meisterschaft holte, gelang dies keinem der vier Erstliga-Teams mehr, weder den 76ers und den Eagles (Football) noch den Flyers (Eishockey) oder den Phillies (Baseball). 25 Jahre kein Titel mehr, 100 Spielzeiten ohne Erfolg.

Solche Flüche gab es im mythenumrankten US-Sport schon immer, gerade Baseball ist ein Quell dieser Legenden. Die Boston Red Sex zum Beispiel mussten 84 Jahre lang warten, ehe sie vor vier Jahren mit dem World-Series-Gewinn den „Fluch des Bambino“ loswurden. „Bambino“ war der Spitzname des legendären Babe Ruth, den Boston 1920 trotz eines Titelgewinns ausgerechnet an den Erzrivalen, die New York Yankees, verkauften. Ein Jahr später, 2005, wurden die Chicago White Sox mit dem Titelgewinn ebenfalls ihren Fluch los. Der dauerte sogar 86 Jahre. „Black Sox“ nannten sie das Team und diesen Fluch, weil 1919 die hochfavorisierten White Sox im Finale gegen die Cincinnati Reds verloren – absichtlich, wie sich später herausstellen sollte, denn einige White-Sox-Spieler waren bestochen. Bis 2005 gewannen die „Black Sox“ nie wieder einen Titel. Fällt in diesem Jahr der Fluch des William Penn? Die Einwohner von Philadelphia ließen ja nichts unversucht, um dessen Zorn zu besänftigten. Mal wieder diskutieren sie, ob die Rathaus-Statue mit einer Baseball-Cap der Phillies verziert werden soll? Oder mit einem Trikot? Beim letzten Finaleinzug der Phillies 1993 setzte man ihm eine Mütze auf, allein: es half nichts.

Den gleichen Trick probierten sie beim Einzug der Flyers ins Stanley-Cup-Finale 1997 mit einem Eishockey-Trikot, auch vergeblich. Als die 76ers 2001 das NBA-Finale erreichten und die Eagles 2005 das Super-Bowl-Finale, da verzichteten sie auf Devotionalien – und trotzdem klappte es nicht. Auch diesmal, so entschied es Philadelphias Bürgermeister Michael Nutter, bleibt William Penn unbehelligt. Ob’s hilft? Irgendwie passt dieser Fluch ja auch zu Philadelphia. Zu dieser Stadt, die einen gewissen Minderwertigkeitskomplex vor sich her trägt. Zu dieser Stadt, die im Schatten der Metropolen New York und Washington in unmittelbarer Nachbarschaft steht. Bürgermeister Nutter sagt über die Phillies: „Der Wille, immer und immer wieder aufzustehen und zurückzukommen, wenn sie sich gerade in einem Loch befinden: Das ist auch der Spirit dieser Stadt.“

Und es wäre schon eine Pointe, wenn ausgerechnet die Phillies den Fluch des William Penn überwinden könnten: Sie haben nur einmal in ihrer 125-jährigen Geschichte die World Series gewonnen. Dafür haben sie schon über 10.000 Niederlagen auf ihrem Konto – so viel wie keine andere Baseball-Mannschaft in den USA. Zumindest diesen Rekord werden sie auch behalten, wenn sie das nun anstehende Finale gegen die Tampa Bay Rays gewinnen sollten. William Penn hin oder her. THILO KNOTT