Äthiopien gegen NGOs

Ein neues Gesetz soll die Aktivitäten von regierungsunabhängigen Organisationen deutlich einschränken und staatlich kontrollieren

AUS ADDIS ABEBA MARC ENGELHARDT

Es ist früh am Morgen. Am Arat-Kilo-Platz, zwischen dem äthiopischen Präsidentenpalast und der Universität, reißt ein schlaftrunkener Taxifahrer gerade noch rechtzeitig das Lenkrad herum, um nicht mit dem am Straßenrand aufgestellten grünen Truck zu kollidieren. „Mobiles Testzentrum“ steht auf der Seite, in amharischen Lettern aufgemalt neben Fotos von optimistisch dreinblickenden Jugendlichen. In dem Grüppchen, das sich schon in aller Frühe hier eingefunden hat, schaut niemand so glücklich. „Die Leute kommen meist erst zum Aidstest, wenn sie schon einen Verdacht haben“, sagt Ato Amare, der Chef von Ossa, der „Organisation für soziale Dienste rund um Aids“.

Die äthiopische Nichtregierungsorganisation hat vor fast zwanzig Jahren klein angefangen, als Aids in Äthiopien noch kein Thema war. Heute ist sie im ganzen Land präsent, beschäftigt 400 Menschen und 2.500 freiwillige Helfer und macht die Arbeit, die der äthiopische Staat nicht leistet: mobile Testprogramme, vor allem auf dem Land. „Dort gibt es immer noch viel Diskriminierung und Vorurteile, sodass wir Schwellen abbauen müssen, damit die Leute sich testen lassen“, erklärt Amare. Auf Druck von Ossa stellt die Regierung immerhin mittlerweile ausreichend antiretrovirale Aidsmedikamente (ARVs) für Infizierte bereit. Amares Bilanz: „Unsere Zusammenarbeit mit der Regierung ist gut.“ Und doch befürchtet er, dass Ossa ihre erfolgreiche Arbeit bald einstellen muss. Das wäre die Folge eines neuen Gesetzes, das das Kabinett von Äthiopiens Premierminister Meles voraussichtlich am Donnerstag beschließt.

Der dritte und endgültige Entwurf der „Charities and Societies Proclamation“ macht allen unabhängigen Gruppen Äthiopiens das Leben schwer. Organisationen, die zu mehr als zehn Prozent ihres Etats aus dem Ausland gefördert werden, gelten dann als ausländische Organisationen und dürfen in Zukunft nicht mehr tun als rein humanitäre Hilfe. Die Bereiche Menschen- und Bürgerrechte, die Förderung von Versöhnung, nachhaltige Entwicklung oder ethnische Verständigung sind ebenso tabu wie Gleichstellung, Religion, Strafvollzug, Justiz oder die Rechte von Behinderten und Kindern.

„Wir bekommen 100 Prozent unseres Geldes aus dem Ausland“, so Ossa-Chef Amare. „Wer zu uns kommt, hat kein Geld. Wo also sollen wir Eigenmittel hernehmen?“ Die Ossa-Programme für Mädchen, Anti-Aids-Clubs für Kinder und Jugendliche und dergleichen mehr stehen also in Frage. Und ganz oben in der Ossa-Charta steht die „Verteidigung von Menschenrechten“ und der „Kampf gegen Stigma und Diskriminierung“, was ebenfalls in Zukunft nicht mehr geht.

Unberührt von diesem „Großangriff auf die Zivilgesellschaft“, wie Human Rights Watch sagt, sind neben den wenigen unpolitischen humanitären Gruppen praktisch nur Organisationen, die Teil des eng verwobenen Netzes aus Partei und Regierung sind. Darüber, dass die strengen Bestimmungen eingehalten werden, wacht eine neu geschaffene Behörde, gegen deren Entscheidungen kein Einspruch möglich ist – auch nicht vor Gericht. Für Gesetzesverstöße drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Äthiopiens Kulturminister Mohamoud Dirir findet die Arbeit der Hilfswerke wichtig. „Die Regierung kann gar nicht alle Teile des Landes erreichen“, sagt er und macht ein freundliches Gesicht. Das Gesetz solle bloß Missbrauch vorbeugen, etwa der Veruntreuung von Geldern. „Manche Organisationen unterstützen die Regierung, andere nutzen unsere Gastfreundschaft aus.“ Bei Kritik verschärft sich sein Ton. „Unsere Demokratie reicht 5.000 Jahre zurück, uns kann niemand erzählen, wie wir unser Land zu regieren haben.“

Kritiker der Regierung sehen das anders. „Die Oppositionsparteien sind schon kaltgestellt, jetzt ist die Zivilgesellschaft dran“, sagt Nigussu Legesse von der Kirchlichen Hilfskommission Äthiopiens. Die Führer der Opposition, bei den Parlamentswahlen 2005 überraschende Sieger, saßen bis vor kurzem im Gefängnis. Vor ihrer Entlassung mussten sie Schuldeingeständnisse unterzeichnen, die ihnen eine neue Kandidatur bei der nächsten Wahl in einem Jahr unmöglich machen.