Hummer kochen lernen

Die Restaurantbesitzerin Kit Hu will eine Lehrstelle für einen benachteiligten Jugendlichen anbieten und ihm so helfen. Ob die Bildungsbehörde das finanziell unterstützt, ist fraglich

von LENA GORELIK

Auf der handbeschriebenen Speisekarte stehen Gerichte wie „Mit Hummer gefüllte hausgemachte Ravioli, dazu sautierter grüner Spargel“ und „Spinat-Ricotta Canneloni mit Oliven-Tomatensauce, dazu Trüffel-Rucola“. Auf den Tischen liegen weiße Decken, stehen Weingläser und Kerzen. In der Mitte des Raumes sind auf einem kleinen Tischchen Weinflaschen ausgestellt, in der Küche stehen Wok-Pfannen auf dem Herd. „Madame Hu“ ist ein euroasiatisches Restaurant.

Madame Hu selbst ist 36 Jahre alt, trägt eine Workerhose und einen blauen Kapuzenpulli und wirkt noch viel jünger. Seit fünf Jahren betreibt Kit Hu zusammen mit einem Koch ihr Restaurant. Nun wollten die beiden eine Auszubildendenstelle für einen schwer vermittelbaren Jugendlichen anbieten. Doch nach den Geldkürzungen des rechten Senats im Bereich Jugendberufshilfe können sie voraussichtlich keine Zuschüsse erwarten.

Nur noch Betreuung

Kit Hu hat sich an den Landesbetrieb für Erziehung und Berufsbildung gewandt, weil dieser bis vor kurzem Ausbildungsplätze für benachteiligte Jugendliche finanziert hatte. „Jetzt heißt es, sie können mich wahrscheinlich wegen der Senatskürzungen nicht unterstützen“, empört sich die Restaurantinhaberin. Der Landesbetrieb bezahlte im Rahmen einer so genannten Ausbildungskooperative, teils vollständig, teils zu neunzig Prozent, bis zu 48 Azubistellen im Jahr.

Beim der Bildungsbehörde unterstellten Amt für berufliche Bildung und Weiterbildung ist von Verstärkung der Ausbildungskooperative die Rede. Das klingt gut, bedeutet aber, dass zwar mehr Jugendliche in das Programm der Ausbildungskooperative aufgenommen werden sollen, aber nur zur Betreuung. Ob weiterhin Ausbildungsplätze finanziert werden können, ist dank der exzessiven Mittelkürzungen zweifelhaft. Dies werde in den nächsten Wochen verhandelt. Im März bekommt die Restaurantbesitzerin, die mit neun Jahren aus Hong Kong nach Deutschland gekommen ist, Bescheid.

„Erst streicht der Senat Geld, und dann wundert man sich darüber, dass es so viele Probleme mit Jugendlichen gibt“, regt sich Kit Hu auf. Gerade benachteiligte Kids müsse man verstärkt unterstützen. Sie erzählt, wie ein paar Straßenkids vor kurzem einen riesigen Stein in ihr Restaurantfenster geschmissen haben, „und das um 14 Uhr an einem Sonntag“. Wütend klingt sie nicht. Zumindest nicht auf die Jugendlichen: „Der Senat sollte sich einfach um die Kids kümmern. Dann machen sie so etwas auch nicht.“

Die Restaurantbesitzerin kennt sich aus: „Viele meiner Freunde sind Sozialarbeiter, ich kenne diese Kids. Man muss mit ihnen reden, ein offenes Ohr für sie haben.“ Sie selbst hat schon öfter benachteiligte Jugendliche als Praktikanten gehabt. „Sie siezen mich tatsächlich am Anfang“, lacht die junge Frau, ungläubig hört sich das an. „Wenn ich einen Witz mache, dann wissen sie nicht, ob sie lachen sollen.“ Erst seien sie schüchtern, aber „bis zum Ende des Praktikums bringe ich ihnen bei, auch mal zu sagen, wenn ihnen was nicht passt“. Man müsse ihnen Zeit geben, das mache sie gerne.

Offene Atmosphäre

Das Restaurant macht erst abends auf, aber schon nachmittags ist High Life am Neuen Pferdemarkt: Freunde gehen ein und aus, trinken einen Kaffee am Tresen, schnacken ein bisschen, Kinder rennen herum. „Hier ist eine offene Atmosphäre, hier würde sich ein benachteiligter Jugendlicher wohl fühlen“, meint die Restaurantchefin.

Am Tresen sitzt Jenne Riemann, ein Fachberater für Jugendhilfe, ein Freund von Kit Hu. Er trinkt Tee und regt sich mit ihr zusammen über die Änderungen des Senats auf. „So ein Kid braucht eine warmherzige Strenge, und genau die würde es hier bekommen.“ Er erzählt, wie „Madame Hu“ ihm schon einmal geholfen hat, ein „schwieriges Mädchen auf den rechten Weg zu bringen“. Kit sei geduldig, sagt er. Geduldig? Da muss die junge Frau lachen, die ständig herumläuft, schnell und mit mehreren Leuten gleichzeitig spricht. „Aber ich kann die Kids verstehen. Ich hätte in dem Alter auch für meine Freunde alles getan.“ Man kann sich Frau Hu gut vorstellen, wie sie in einer ruhigen Pause mit einem Straßenkid eine Zigarette raucht und mit ihm über seine Probleme redet.

Kit Hu regt sich über viele Ungerechtigkeiten auf: Das Kita-Gutschein-System, das Gesundheitswesen, den Rechts-Senat im Grundsätzlichen. „Die letzten paar Monate ständig auf der Straße bei irgendwelchen Demos.“

Bald kommen Gäste. „Wir bereiten alles frisch vor. Hier gibt es keine Mikrowelle“, erzählt die Chefin stolz. Und regt sich gleich wieder auf: „Ich verstehe das nicht. Ich würde aus einem benachteiligten Jugendlichen einen richtigen Koch machen. Hier lernen die nicht nur Dosen aufmachen. Ich möchte ihm gerne beibringen, wie man Hummer einlegt.“