Von „Lenin“ lernen heißt Geschichte lernen

Steffen Reiche, Brandenburgs Bildungsminister, hat Lehrer und Schüler offiziell aufgefordert, sich gemeinsam den Film „Good Bye, Lenin“ anzusehen. Danach lasse sich über die DDR und ihre Langzeitwirkung unverkrampft reden

taz: Herr Reiche, Sie wollen, dass möglichst viele Schüler „Good Bye, Lenin“ sehen. Bietet Brandenburg nicht auch ohne den Film genug Anknüpfungspunkte für DDR-Debatten?

Steffen Reiche: Ich möchte, dass die Schüler mit ihren Lehrern ins Kino gehen und wichtige Filme sehen. Nicht nur am Jahresende, wenn „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ laufen.

Sie sagen, nach dem Film könnten Lehrer und Schüler die „ganzen Probleme mit der Wende“ besser diskutieren. Welche Probleme sind denn das?

Wenn Lehrer und Schüler sich den Film gemeinsam angucken, haben beide einen guten Anknüpfungspunkt. Sie können unverkrampft über die DDR und deren Langzeitwirkung reden. In den ersten Nachwendejahren war diese Debatte verkrampft. Auch wegen der Stasivorwürfe. Das wächst sich jetzt alles aus.

Brauchen Schüler nicht eher Filme, die Handlungskompetenz vermitteln anstatt nostalgische Affekte zu bewahren?

Diese Frage finde ich banal und wenig hilfreich. Ich lasse mir nicht monatelang vorwerfen, wir kümmerten uns nicht genug um die DDR-Vergangenheit. Und wenn wir es dann tun, werden wir gefragt, ob es nicht wichtigere Themen gebe. Wir müssen das eine tun, ohne das andere zu lassen.

In dem Film umsorgt ein Sohn seine Mutter. Das erinnert an das sowjetische Bild von „Mutter Heimat“, der die „besten Söhne des Landes“ helfen. Werden da nicht alte Muster fortgeschrieben?

Sie haben den Film nicht gesehen! Wir hatten in der DDR keinen Mutterkomplex, sondern einen Staatskomplex. Dieser Film zeigt genauestens Probleme, die Menschen in der DDR beschäftigt haben. Und er zeigt, wie sie später bewältigt wurden. Seine wichtigste Szene ist, dass die Mutter den zweiten Herzinfarkt bekommt, als sie von ihrer Lebenslüge in der DDR erzählt.

Sie setzen sich seit längerem dafür ein, DDR-Geschichte zu unterrichten. Könnte es sein, dass dieses Thema Sie mehr biografisch beschäftigt, als dass es Schülersorgen aufgreift?

Mich beschäftigt das biografisch nicht mehr oder weniger als andere Themen. Ich habe gemerkt, dass in Deutschland ein Teil unserer gemeinsamen Geschichte ausgeblendet wird. Deshalb versuche ich, das auf die Tagesordnung zu setzen. Statt kritischer Fragen vermisse ich Anerkennung für den Brandenburger Weg. Denn wir nehmen dieses Thema ernst, ohne andere Themen zu verdrängen.

INTERVIEW: MATTHIAS BRAUN