Das Vertrauen ist erschüttert

Das Verhalten der politischen Elite Irans nach dem Beben hat die Unzufriedenheit der Menschen mit der Staatsführung verstärkt. Das könnte auch die Wahlen beeinflussen

BERLIN taz ■ Eine Woche nach der verheerende Erdbebenkatastrophe in Bam hat sich der erste Schock gelegt. Jetzt werden allmählich die politischen Folgen des Unglücks sichtbar. Ohne Zweifel hat das schreckliche Ereignis die Menschen in Iran noch enger zusammengebracht. Die Solidarität mit den Opfern war bewundernswert. Spontan bildeten sich im ganzen Land tausende von Initiativen, die Spenden sammelten oder sich nach Bam und Umgebung begaben, um direkt Hilfe zu leisten. Oft standen die Leute bis zu zehn Stunden Schlange, um Blut zu spenden.

Aber so groß die Hilfsbereitschaft war, so gering war das Vertrauen in den islamischen Staat. Viele Initiativen zogen es vor, die Spenden und Hilfsgüter direkt an die Betroffenen zu verteilen, anstatt sie einer Behörde zu übergeben. Auch die Kritik an die Regierung wurde von Tag zu Tag lauter. „Die Regierung gibt Millionen Dollar für Geräte und Einrichtungen aus, um Telefone abzuhören oder Auslandssender zu stören. Aber sie ist nicht bereit, in einem Land, das oft von Naturkatastrophen heimgesucht wird, Spürhunde ausbilden zu lassen, Hilfstruppen auszurüsten und Geräte und Transportmittel für einen schnellen und effektiven Einsatz bereitzustellen“, sagte ein Betroffener. „Wie kommt es, dass selbst stärkere Erdbeben in Japan nur geringe Schäden anrichten, aber in Bam zehntausende töten?“, fragte die oppositionelle „Nationalfront“. „Statt ewige Predigten zu halten, solltet ihr euch um die Not der Menschen kümmern, stabile Häuser bauen und den Bodenspekulanten und Blutsaugern das Handwerk legen.“

Auch der Mangel an Organisation und Koordination steigerte die ohnehin weit verbreitete Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Tatsächlich zeigten sich selbst nach Tagen zuständige Behörden unfähig, die in- und ausländischen Einsatzkräfte und Initiativen zu koordinieren, die Sicherheit der Region zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass die Hilfsgüter die Adressaten so rasch wie möglich erreichten.

Unmut erzeugte auch das Verhalten der Staatsführung, vor allem das der Konservativen. Erst am vierten Tag nach dem Beben raffte sich Revolutionsführer Ajatollah Chamenei zu einer Stippvisite in Bam auf. Zuvor hatte er sich mit einer kurzen Beileidsbekundung begnügt.

Exstaatschef Haschemi Rafsandschani, reichster und wohl einflussreichster Mann im Land, der selbst aus der Region um Bam stammt, hat sich bislang nicht blicken lassen. Er ist der Besitzer der meisten Hotels und Restaurants, die in den letzten Jahren in der Gegend von Bam für Touristen gebaut wurden.

Konservative Blätter berichteten mehr oder weniger distanziert. Sie nahmen das Unglück zum Anlass, um die von den Reformern geführte Regierung zu kritisieren und ihr Unfähigkeit vorzuwerfen. Das von Islamisten beherrschte Fernsehen sendete erst nach zehn Stunden Bilder aus dem Katastrophengebiet.

Weit engagierter zeigten sich die Reformer. Präsident Chatami, der sich nach eigenem Bekunden wenige Stunden nach dem Ereignis nach Bam begeben wollte, wurde, wie vermutet wird, von den Konservativen zurückgehalten. „Ich wollte gleich nach der Katastrophe bei den Betroffenen sein, doch aus welchen Gründen auch immer hat man mir empfohlen, meine Reise um ein paar Tage zu verschieben“, sagte er. Er traf am vierten Tag fast gleichzeitig mit Revolutionsführer Chamenei in Bam ein, begab sich zu den Angehörigen der Opfer, während Chamenei, umringt von Sicherheitsbeamten, eine Rede hielt, in der er das Erdbeben als „Zorn der Natur“ und „Gottes Fügung“ bezeichnete.

Insgesamt hat das Erdbeben den Abstand zwischen den staatlichen Instanzen und der Regierung, das Misstrauen und die Unzufriedenheit vergrößert, was sicher nicht ohne Wirkung auf die bevorstehenden Wahlen im Februar bleiben wird.

BAHMAN NIRUMAND

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