Reemtsma zeigt Rügen den Rücken

Örtliche Proteste führen zur Absage der Wehrmachtsausstellung auf Rügen. Der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich erleichtert: „Riesenpolizeiaufgebot und verstopfte Straßen“ bleiben der Ferieninsel im Nordosten nun erspart

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Jan Philipp Reemtsma hat die Notbremse gezogen und ein monatelanges Hickhack um die geplante Wehrmachtsausstellung in Prora auf Rügen, des von den Nationalsozialisten konzipierten Kraft-durch-Freude-Bades, beendet. Dort wollte die Stiftung „Neue Kultur“ im Sommer die überarbeitete Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht zeigen. Der Chef des Institus für Sozialforschung in Hamburg teilte der Stiftung jetzt mit, dass die Ausstellung „definitiv nicht in Prora gezeigt wird“.

„Wir möchten nicht in ortsbezogene Debatten hineingezogen werden“, sagte der taz gestern die Pressesprecherin des Hamburger Instituts, Regine Klose-Wolf. Derzeit sei Peenemünde auf Usedom im Gespräch, wo tausende von KZ-Häftlingen ums Leben kamen und die berüchtigte „V 2“, die Vergeltungswaffe der Nazis, entwickelt und produziert wurde. Die „ortsbezogenen Debatten“ lassen Mecklenburg-Vorpommern in keinem guten Licht dastehen. Dass Prora als möglicher Veranstaltungsort aus dem Rennen ist, ist das Ergebnis eines kaum zu entwirrenden Knäuels aus politischem Taktieren, gegenseitigen Schuldzuweisungen und Dilettantismus.

Klar ist: Hoteliers hatten Angst, dass die Ausstellung Touristen abschrecken könnte, und die Organisatoren des im August in Prora stattfindenden Jugendevents „Prora 03“ hatten Sicherheitsbedenken. „Prora 03“ ist eine von dem gleichnamigen Verein und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung organisierte Veranstaltung, zu der 15.000 Jugendliche erwartet werden. Vertreter aus Wirtschaft, Kultur, Bildung und Politik wollen mit ihnen „über Gott und die Welt diskutieren“, so das Programm, und Zukunftschancen in dem strukturschwachen Bundesland aufzeigen.

Vorsitzender von „Prora 03“ ist der ehemalige Landtagspräsident Hinrich Kuessner (SPD). Kuessner, der auch Präsident des Landestourismusverbands ist, ist „erleichtert“, dass die Ausstellung nicht in Prora gezeigt wird. „Man muss sich das mal vorstellen: 15.000 junge Leute und die Wehrmachtsausstellung. Es gibt hier aktive Neonazigruppen, und ich glaube nicht, dass sie das nicht nutzen werden.“ Wenn „nur ein paar Neonazis auftreten“, bedeute das „ein Riesenpolizeiaufgebot und verstopfte Straßen“. Das sei ein „schwer zu beherrschendes Problem“. Den Vorwurf, Neonazis das Feld zu überlassen, weist er von sich und setzt seine Hoffnung nun auf Peenemünde. Dort seien mögliche Auseinandersetzungen „anders beherrschbar“.

Jürgen Rostock von der Stiftung „Neue Kultur“, die die Ausstellung nach Prora holen wollte, ist „überrascht“ von der Nachricht aus Hamburg. Die Verhandlungen seien „unterschriftsreif“ gewesen. Die Pressesprecherin des Instituts betont dagegen, es habe „noch keine Vertragsverhandlungen gegeben“. Rostock hat seine eigene Interpretation: „Der Widerstand der Staatskanzlei gegen Prora hat Wirkung gezeigt.“ Er beklagt, dass nun „die Rechten triumphieren“. Regierung und Parlament wirft er „Machtspiele“ und „unverständliche Widerstände“ vor.

„Jeder bläst jeden Tag in ein anderes Horn. Das kommentiere ich nicht“, erklärt Nikolaus Voss von der Staatskanzlei. Die Landesregierung habe Interesse an der Ausstellung und warte nun „in Ruhe und Gelassenheit“ ab.

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