„Überall gibt’s heile Welt“

Manager Hans R. Beierlein hat einige von Deutschlands Superstars „gemacht“. Ein Gespräch über Geschmack und Kapitalismus

Interview JAN FEDDERSEN

taz.mag: Warum war Frankreich von Jugend an Ihr Traumland?

Hans R. Beierlein: Ich kann bis heute kein Wort dieser schönen Sprache, aber ihr Klang hat mich verführt. Und das Essen. Die Frauen. Ihr Charme. Das Lebensgefühl dort. Und in Frankreich ist es kein Problem, wenn ein Kommunist auf einen Kapitalisten trifft. Sie sprechen miteinander. Das hat mir gefallen.

War das der Grund, weshalb Sie Udo Jürgens zunächst einen Auftritt im Pariser „Olympia“ verschafft haben, ehe er Deutschland „erobern“ konnte?

Ja, in der Tat. Ich wusste, dass die Deutschen mit unendlicher Hingabe an allem hängen, was aus dem Ausland kommt. Das war schon bei den Nazis so. Johannes Heesters, ein Niederländer. Rosita Serrano, eine Chilenin. Zarah Leander, eine Schwedin.

Udo Jürgens gilt als Deutscher.

Ist aber Österreicher. Einer, der Ende der Fünfziger, Anfang der Sechziger in Deutschland mit schlechten Liedern Misserfolge hatte. Sein erstes Lied hieß „Weiße Chrysanthemen“ – und war natürlich ein Flop.

Hätte er überhaupt gegen die Humtatakultur bestehen können?

Gewiss nicht. Als ich ihn traf, dachte ich mir aber, der hat Potenzial. Der kann Klavier spielen. Und Frauen lieben Klavierspieler. Aber ich konnte ihn als sein Manager nicht als Deutschen verkaufen. Das wäre in Deutschland schief gegangen. Auch deshalb, weil es hier keinen Platz gab für Musik, die sich international orientierte, an Amerika, an Frankreich oder Italien.

Wie haben Sie Udo Jürgens überzeugen können, sich Ihren Marketingideen nicht zu verschließen?

Er hatte wohl sonst keine Chance. Seine Plattenfirma wollte ihn nicht weiter beschäftigen. Ich sagte ihm: Ich verpflichte mich, nie zu singen – und du verpflichtest dich, dich nie um Dinge zu kümmern, die darüber hinausgehen.

Und das Kalkül ging auf – Udo Jürgens gewann 1966 den Grand Prix Eurovision mit dem frankophon anmutenden Titel „Merci Chérie“.

Sonst hätten wir die französischsprachigen Jurys nicht auf unsere Seite bekommen. Aus Deutschland, das war klar, würde es keine Punkte geben. Die haben Udo Jürgens, weil er für Österreich antrat, ignoriert, die Bild hat sogar Front gegen ihn gemacht.

Hat Udo Jürgens jene Musik gemacht, die Sie persönlich selbst am ehesten schätzen, die aber in Deutschland keine Marktchance hatte?

Meine musikalische Welt war nicht deutsch. Frank Sinatra, Gilbert Bécaud, Charles Aznavour, das waren und sind die Sänger, deren Kunst mir sehr viel bedeutet. Ich kann mich nur für Produkte einsetzen, die ich selbst gut finde.

Und doch waren Sie es, der in den Achtzigerjahren begann, die Fernsehkanäle mit so genannter Volksmusik voll zu stopfen. War das nicht ein auf Dauer angelegtes ästhetisches Verbrechen? Verübt von einem, der französische Lebensart schätzt?

Mein persönlicher Geschmack ist für mich wichtig, aber mit dem käme ich nicht sonderlich weit. Ich denke, dass alle, die in der Unterhaltungsbranche sind, für das Publikum arbeiten. Es gibt nur ein System, dem ich blind vertraue: Brot und Spiele. Für das Brot habe ich mich nie sonderlich zuständig gefühlt, für Spiele aber sehr.

Sie glaubten, dass die Deutschen auf Volksmusik gewartet haben?

Das sagten alle Meinungsumfragen. Damals gab es im Fernsehen Musik, die bestenfalls 250.000 Menschen genießen. Zehn Millionen Menschen wurden mit ihrem Geschmack nicht berücksichtigt. Ich dachte, für die muss ich was tun. Das mag man Kapitalismus nennen oder Intelligenz, ist mir auch wurscht.

Echte Volksmusik war das ja nicht.

Was ist schon echt? Jedenfalls gab es diesen Streit. Menschen, sagen wir Fundamentalisten, die sehr schön auf der Zither spielen. Oder Gruppen, die altes Liedgut bewahren. Ich habe sie dann zum Gespräch eingeladen, um ihre Anliegen zu würdigen. Aber sie haben sich nie wieder gemeldet.

Wobei deren Kummer ja verständlich ist: Was Sie Volksmusik nennen, ist nichts als volkstümlicher Schlager.

Ein Taschenspielertrick, zugegeben. Aber der Begriff stand ja nicht unter Artenschutz. Volksmusik war der beste Begriff für die unerfüllten Wünsche des Publikums.

Was ist der Unterschied zwischen Volksmusik und Pop?

In jeder Sparte gibt es generell gute und schlechte Produkte. Sagen wir mal so: Wenn sich ein Regenbogen in einer Pfütze spiegelt, dann ist für die Volksmusik der Regenbogen das Thema und nicht die Pfütze. Jeder weiß, dass es Elend auf der Welt gibt. Niemand will Krieg, jeder möchte, dass überall auf der Welt das Leben besser wird. Aber in dieser Musik ist für Anklagen kein Platz.

Alles nur heile Welt.

Was haben Sie gegen eine heile Welt? Wenn wir hier am Tisch sitzen und uns unterhalten, dann ist das heile Welt. Es gibt heile Welt in Ehen – und Freundschaften, die auch so etwas wie heile Welt sind. Oder wenn ich die taz lese und wunderbar informiert werde, eine Zeitung, die einen viel größeren Meinungspluralismus pflegt als jede andere Zeitung in Deutschland, dann ist das für mich journalistisch die heile Welt.

Und die fiesen Seiten dieser Welt?

Die gibt es, viele sogar. Aber von denen will man nicht immer hören, das hält keiner aus. Die Welt ist schön. Wenn im Irak Krieg ist, ist die Welt nicht heil. Wenn unsere Regierung 4,6 Millionen Arbeitslose hinnimmt, ist das auch keine heile Welt. Heile Welt – das ist die Idee, saubere Flüsse zu haben, Nahrung zu essen, die nicht giftig ist, das sind Wälder, die erhalten werden. Wer diese heile Welt nicht lebt, will sie haben. Das ist der Inhalt von Volksmusik.

Und doch müssen sich Ihre Künstler wie Hansi Hinterseer, Stefanie Hertel oder Carolin Reiber für ihr Tun entschuldigen.

Ich habe den Künstlern gesagt, ihr seid doch Idioten. „Warum entschuldigt ihr euch?“, habe ich sie gefragt. Jeder richtet sich doch so ein, dass seine Welt besser, heiler wird. Wenn ich am Wochenende in mein Haus am Schliersee oder nach Südfrankreich fahre, meine Ruhe habe, die Landschaft genieße und von keiner Kalaschnikow bedroht werde, dann ist meine Welt heil.

Was ist schlechte Volksmusik?

Wenn nur Klischees verkauft werden. Alles ist schön, alles ist gut, es gibt nichts Böses: hanebüchen. Stefanie Hertel hat in ein Lied die Erich-Kästner-Zeile „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ aufgenommen. Das singt sie ihren Fans. Sie signalisiert: Für das Gute muss man was tun. Die Welt ist nur heil, wenn wir was für sie tun.

Ist die Welt von „Deutschland sucht den Superstar“ heil?

Ja. Alle werden unendlich viel gewinnen, RTL, Dieter Bohlen, die Kandidaten, die Plattenfirma. Einen Superstar wird es nicht geben. Aber die Emotionalität ist so bezwingend, dass es kaum noch steigerbar ist.

Hat als Konkurrenz dieser Idee der Grand Prix Eurovision überhaupt noch eine Chance?

Gut möglich, dass diese Veranstaltung stirbt. Aber sie bringt keine Stars mehr hervor wie früher Udo Jürgens, Julio Iglesias, Sandie Shaw, Karel Gott, Abba oder Céline Dion. Wenn sich das „Superstar“-Format in Europa durchsetzt – worauf ich jede Wette eingehe – ist der Eurovision Song Contest tot. Dessen Welt ist für die Zuschauer weder gut noch böse, sondern uninteressant.

JAN FEDDERSEN, 45, ist taz.mag-Redakteur