Essenz vom Stubenküken

Hamburg zum Matthiae-Mahl: Wenn der Bürgermeister König sein darf und die Bürger Untertanen, gibt es an langen Tafeln Maronenpüree auf pochierter Birne, und die Schatzkammern öffnen sich

von SANDRA WILSDORF

Einmal im Jahr wird Hamburg zum Königreich. Dann öffnen sich im Rathaus die schweren Türen der Schatzkammern und alles, was blank und kostbar ist, kommt auf die Tische, die sonst unter dem Fußboden des Festsaals lagern: Silberbestecke mit Hamburg-Wappen, Weingläser in grün, braun und orange mit Hamburg-Wappen, vielarmige Kerzenleuchter und jahrhundertealte Pokale, Schalen und edelmetallene Weinkannen schmücken die sehr langen Tafeln. Wochenlang wird das Rathaus geputzt, das Protokoll lässt sich Menüs zur Auswahl kochen, um zu erschmecken, welches das Beste für die Gäste ist, rote Teppiche werden verlegt, Fahnen gehisst, und Floristen wettstreiten darin, wer den schönsten Blumenschmuck gestaltet. Und dann, wenn es Abend wird, dann nehmen sie Platz, die gut 400 Majestäten aus Wirtschaft, Politik, Kultur. Platz zum Matthiae-Mahl.

Gestern war es wieder so weit. Diesmal sogar mit Königin Silvia und Steffi – „Stefanie“, mahnt der Protokollchef – Graf. Ein Drittel der Gäste war ganz neu auf der Gästeliste. Höchste Ansprüche ans Protokoll. Wer neben wem? Bürgermeister Ole von Beust zwischen zwei Königinnen – rechts die aus Schweden, links die des Tennisplatzes. Neben Königin Stefanie saß der Doyen der konsularischen Corps, zur Zeit der britische Konsul Douglas McAdam. Und neben Königin Silvia saß Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt – der als Einziger im Rathaus immer und überall qualmen darf und das gemeinhin auch tut. Und dann saßen am Ehrentisch noch Fürst und Fürstin von Bismarck, der schwedische Generalkonsul Leif H. Sjöström, Walther Tröger, weil er Ehrenpräsident des Nationalen Olympischen Komitees, und Karl-Joachim Dreyer, weil er Präses der Handelskammer ist.

Gestern Vormittag durften Journalisten im Rathaus für etwa 60 Minuten den Vorbereitungen für das große Festmahl zusehen – auf dass sie den Untertanen Kunde gäben. Und hier ist sie: Den Wettbewerb um die Blumenbeschmückung gewannen Mönchshütchen-Arrangements, und als Menüfolge setzten sich grüne Spargelspitzen an Mousseline von der Bachforelle, Nordseekrabben in Dill-Pesto mit gebutterten Nussbrot-Talern, anschließend Essenz vom Hamburger Stubenküken – die wurden in den Vier- und Marschlanden früher in Bettkästen gezüchtet – Ravioli, feine Gemüsewürfel und Ingwerstange durch. Danach wird gereicht Medaillon vom Hirschrücken mit Maronenpüree auf pochierter Birne, bunt gefüllter Kohlrabi unter oder neben Schokoladen-Rotwein-Sauce und Thymiankartoffeln. Das Dessert: Halbgefrorenes von weißer Schokolade mit Armagnacpflaumen mit Orangensauce. Als Rausschmeißer: Mokka und handgemachtes Hanseaten-Gebäck.

Bereitet wurde das Menü übrigens wie immer von den Köchen des Ratsweinkellers – und mit vermutlich mehr Mühe als der Pudding, den sie bei den Haushaltsberatungen servierten und der auf überparteilichen Ekel stieß.

Nun ist den Gastgebern aber auch wichtig, dass die Hamburger erfahren, was Carl-Friedrich Arp Freiherr von Beust und das ehemalige Fräulein Sylvia Sommerlath zu sagen haben. Und so lassen sie Journalisten ihren Reden von der Tribüne aus beiwohnen. Zwischen den Reden aber, wenn die Herrschaften speisen, müssen sie draußen warten. Was das Matthiae-Mahl kostet, wollen die Untertanen wissen? Darüber spricht man traditionellerweise nicht. Und ob schon mal Besteckteile verschwunden sind? „Darüber schweigt des Sängers Höflichkeit“, sagt der Veranstaltungsmanager. Was natürlich auch eine Antwort ist.