Heiliger Mann kommt über die Hügel

Leben im Indianer-Reservat, und das mitten in Norddeutschland: Joachim Irmer schlug im Wendland seinen Totempfahl ein. Vom Blackfoot-Chief zum religiösen Würdenträger ernannt, gibt Irmer den Indianer-Geist seither in Seminaren weiter

Anstelle des bloßen Konsums der Erde symbolisch etwas zurückgeben

aus Göhrde-Dübbekold Katharina Müller

Der rote Volvo hält vor dem großen Totem. Dübbekold heißt der Ort, vier Häuser im Wendland, idyllisch gelegen am Rande des Naturparks Elbufer-Drawehn. Ein Rentner-Paar steigt aus dem Wagen. „Wir haben gehört, hier gibt‘s Indianer!“ ruft die Dame. Joachim Irmer, buntes Hemd im Indianer-Look, das dünne braune Haar fast bis zur Taille, stapft über den Rasen herbei. Am Gürtel glänzt die Messingschnalle in Form eines Adlers. „Willkommen im Reservat“, entgegnet er.

Am liebsten würde Irmer solche Besucher ja zum Kaffee einladen, sagt er. Aber bei dem Ansturm an Neugierigen, die sein privates Indianer-Reservat anlockt, bliebe ihm dann keine Zeit mehr für Seminare: Tipi aufbauen, trommeln und rasseln, Schwitzhütten abdecken, Steine erhitzen, indianische Stammeslieder singen. 200 Euro kostet ein Wochenende, auf Wunsch darf auch im Tipi übernachtet werden. Die Teilnehmer der Kurse, mehrere hundert pro Jahr, kommen aus ganz Deutschland.

Irmer und seine Frau lehren die traditionelle Lebensweise der Indianer und deren Spiritualität. Beispiel Schwitzhüttenzeremonie: Die ist nicht nur ein Saunagang unter Weidenruten und Wolldecken, sondern auch – so der Irmersche Prospekt – ein traditionelles „Reinigungs- und Heilungsritual“. Bei dem, wie Irmer andeutet, sich auch Übernatürliches ereignen könne. „Geister kommen vorbei oder auch nicht“, sagt er. Es klingt wie eine Selbstverständlichkeit. Mindestens einmal im Jahr fährt Joachim Irmer in Indianerreservate in den USA, meist im Frühsommer, um dort am Sonnentanz teilzunehmen. Vier Tage lang wird getanzt, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, ohne Pause, ohne Essen und Irmer zufolge sogar ohne Trinken. „Eine unheimlich kraftvolle Energie“ entstehe da, schwärmt Irmer. Eine Grenzerfahrung, eine Tortur, bei der sich auch Visionen einstellen könnten. Und auf die sich Irmer durch ein drogenfreies Leben und Konditionstraining vorbereitet.

Aufgewachsen im „Arbeiterloch“ Hamburg-Harburg, gründete der gelernte Schmied 1987 einen der ersten Bio-Läden Deutschlands. Zehn Jahre lang versuchte er, die Harburger auf den Grünfutter-Geschmack zu bringen, bevor er begann, Niedrigenergiehäuser zu bauen. Das hatte er sich selbst beigebracht. 1997 gründete er schließlich das Seminarhaus im Wendland, machte den indianischen Way of Life zu seinem eigenen. „Hierzulande versammeln sich Menschen um ein paar Flaschen Alkohol herum und nennen das ein Fest“, sagt Irmer. Er wollte mehr, wollte Glauben, Geist und Rituale. Die Erde als mythische Mutter, die die Menschen trägt und behütet und der man im Austausch dafür symbolisch etwas zurückgeben sollte. Die Sonne ein Vater, der seine Kinder, die Erdbewohner, mit allem Lebensnotwendigen versorgt – für Irmer ist diese „indianische“ Weltanschauung „eine Riesenerkenntnis“. Seine indianischen Freunde findet er „unheimlich herzlich“.

Traditionelle Reinigungs- und Heilungsrituale mit Gesang und Schwitzen

Die Sympathie ist wohl gegenseitig. Blackfoot-Chief Morris Crow ernannte Joachim Irmer wegen seines Engagements für die indianischen Traditionen zum „bishop“, zum religiösen Würdenträger des Blackfoot-Stammes. Irmers Freunde vom Clan der Lakota beriefen ihn zu einem der Leiter der Tanz-Zeremonie und gaben ihm den indianischen Namen Naa Too Woot Tamis Soo, auf deutsch: „Der heilige Mann kommt über die Hügel“.

Diesseits des Ozeans liefert Irmers Leidenschaft für Indianisches dem 52-Jährigen ein Auskommen. Im schlicht, aber edel mit Naturmaterialien eingerichteten Wohnhaus und Seminargebäude, einem umgebauten alten Bauernhof, steckt neben viel Arbeit auch eine Menge Kapital. Vom Exotismus allein lässt sich der Lebensunterhalt aber nicht bestreiten. Deshalb bieten Irmer und seine Frau, eine Pädagogin und Supervisorin, auch gewöhnlichere Fortbildungsseminare an. Deren Programm weicht zwar nicht so sehr ab von dem, was man an vielen Volkshochschulen lernen kann: Zeitmanagement, Motivationsstrategien, Neuro-Linguistisches-Programmieren (NLP). Das Ambiente aber ist bei Irmers origineller. Und ab und zu kommen vielleicht ein paar Geister vorbei.