Welcher Grundriss darf es sein?

Beim Wohnen gehen Wunsch und Wirklichkeit häufig auseinander: Das offene und zugleich intime Haus mit großer Küche ist begehrt. Flexibel soll die Immobilie dabei auch noch sein. Der Wohnungsbau steht vor ungewohnten Herausforderungen

von LARS KLAASSEN

Was Mieter erfreut, stellt die Wohnungswirtschaft vor neue Herausforderungen: Steigender Leerstand erhöht die Wahlmöglichkeiten. Zugleich werden die Wünsche nach hochwertigem Wohnraum immer differenzierter. Flexible Konzepte zu günstigen Preisen sind gefragt. Das Institut Für Soziale Stadtentwicklung e. V. (IFSS) aus Potsdam hat Mieter in zehn deutschen Städten befragt, wie zum einen derzeit gewohnt wird, und welche Wohnformen andererseits gewünscht werden. Fazit: Der Wunsch ist nicht Wirklichkeit.

In unterschiedlichen Wohngebieten wie Dresdener Altstadt, Wiesbadener Neubausiedlung, Potsdamer Plattenbaugebiet und Bochumer 50er-Jahre-Siedlung wurden 1.600 Personen mit Hilfe von computeranimierten Wohnungsführungen und Fragebogen nach ihren Wünschen und Meinungen befragt: Welcher Grundriss soll es sein? Das Ergebnis weist in zwei Richtungen. „Ausdifferenzierung und Individualisierung spiegeln sich darin wider, dass sich 52 Prozent der Antworten auf zwölf Wohntypen verteilen“, erklärt Armin Hentschel, Geschäftsführer des IFSS. „Dass jedoch über 30 Prozent der Befragten das Gartenhofhaus bevorzugen, belegt ein nach wie vor stabiles Grundmuster klassischer Bedürfnisse.“

Das Gartenhofhaus – ein Modell aus den 50er-Jahren – hat ein Geschoss und begrenzt an mindestens zwei Seiten den intimen Hof oder Garten. Die Wohnräume öffnen sich zu diesem Bereich, der durch Mauer oder Hecke nach außen abgeschirmt ist. Grundbedürfnisse wie bodennahes wohnen, Freiraum- und Naturbezug aber auch Abgrenzung zu Nachbarn werden erfüllt. Unabhängig vom bevorzugten Haus- oder Wohnungstyp ist der Wunsch nach einer großen Wohnküche ausgeprägt. 57 Prozent der Befragten wollen dort mindestens sechs Personen unterbringen können. Die Realität sieht gänzlich anders aus. Knappe 47 Prozent haben eine reine Arbeitsküche, rund 35 Prozent eine Essküche für mindestens zwei Personen – und nur 14 Prozent verfügen über das begehrte Modell. „An beiden Ergebnissen lässt sich ablesen, dass nicht so sehr Innovation gefragt ist, sondern altbekannte, klassische Modelle“, sagt Hentschel. „Neu hingegen ist das Bedürfnis nach flexiblen Grundrissen.“

Das flexible Haus haben die de+ architekten für einen Neubau in Köln entworfen. Wegen seiner offenen, individuell nutzbaren Grundrisse wurde das Projekt des Berliner Büros ins Jahrbuch 2003 der Architektenkammer aufgenommen. Fünf verschiedene Wohnungen, vom Zwei-Zimmer-Apartment bis zur Fünf-Zimmer-Maisonnette-Wohnung sind so geschnitten, dass Arbeiten und Wohnen miteinander kombiniert werden können. Tragende Decken lassen mehr Spielraum beim Setzen der Wände – späterer Umbau nicht ausgeschlossen. Küchen und Bäder der zwei Maisonnette-Wohnungen liegen so, dass eine horizontale Aufteilung der Wohnung ohne großen Aufwand möglich wäre. Küche, Wohn- und Essraum sind die zentralen Bereiche der Wohnungen. „Die weiteren Räume können einzeln zugeschaltet oder abgetrennt werden“, erklärt Jan Dilling von de+ architekten.

Das sei flexibel und spare nutzlose Quadratmeter im Flur, habe aber auch Nachteile, wendet Antje Flade ein. Die Wohnpsychologin am Institut Wohnen und Umwelt GmbH (IWU) in Darmstadt gibt zu bedenken: „Da muss dann ja jeder durch – auch der Sohn zum Beispiel, der die neue Freundin nicht gleich den Eltern vorstellen will.“ Von Vorteil sei aber auf jeden Fall das Wohnküchenkonzept. Flade weiß auch, warum trotz allem die winzige Funktionsküche so oft gebaut wird: „Frauen halten sich nach wie vor viel häufiger und länger in der Wohnung auf, aber gebaut werden diese Wohnungen von Männern.“

Dass neue Grundrisse allerdings auch in bestehenden Altbauten geschaffen werden können, weist Sabine Kruger nach. In einem Projekt der Universität Leipzig entwirft sie Konzepte für die vielen noch unsanierten Gründerzeithäuser der Stadt. Ziel ist es, potenziellen Häuslebauern am Stadtrand eine Alternative zu bieten, um Zersiedelung zu vermeiden und im Zentrum den Leerstand abzubauen. Wohneinheiten werden zum Teil reduziert, um mehr Platz zu schaffen. „Wichtig ist vor allem der Grünbezug“, betont Kruger. Um mit dem Einfamilienhaus-Garten konkurrieren zu können, sollen die Höfe begrünt werden.

Statt Altem widmet sich die arbeitsgemeinschaft vorausgedachtes wohnen (avor), Projektträger für Innovatives Wohnen, dem Haus der Zukunft: Das „Multifunktionshaus 64“ (MFH) dient als Grundkonzept für individuelles Wohnen, das sich veränderten Bedürfnissen anpassen kann. Es stand bereits Modell für 104 Wohnungen, die für die GeWoBa Nord in Flensburg errichtet wurden. „Wichtiger als große Schiebetüren, leicht versetzbare Leichtbauwände und Öffnungen im Deckenbereich sind das Tragwerk des Hauses sowie die richtige Anordnung der Versorgungsstränge und Treppenhäuser“, sagt Hartmut Schlomm von avor. Doch es geht ihm nicht nur um die Technik: Wohnen, Arbeit und Beziehungen seien die Grundkonstanten im Leben, doch sie würden einem immer stärkeren Wandel unterzogen. „Ein gutes Hauskonzept muss sich ebenso wandeln können, um diese Bereiche zu integrieren.“ Ungewohntes wird künftig also gefragt sein.