Pop, Kalaschnikow und Sichel

Iranische Oppositionelle machen ihre Regierung für die Erdbebenkatastrophe verantwortlich. Und sie fürchten um das Leben von 5.000 Freischärlern, die aus dem Irak abgeschoben werden sollen

VON CEM SEY

Es sind martialische Töne, die die Spaziergänger Unter den Linden erreichen. 500 Menschen stehen in einer Seitenstraße des Boulevards und hören sich heroisch klingende Reden auf Persisch an. Zwischendurch erklingen Parolen, begleitet von einer riesigen Pauke. Weit hinten ist die hermetisch abgeriegelte US-Botschaft zu sehen.

Der Nationale Widerstandsrat Iran rief seine Anhänger zu einer bundesweiten Demonstration auf. „Ursprünglich war geplant, die Deutschen auf die Situation von 5.000 Kämpfer der Volksmudschaheddin im Irak aufmerksam zu machen, denen die Auslieferung in den Iran droht“, sagt der Vertreter des Rates, Javad Dabiran. „Doch dann kam das Erdbeben dazwischen.“

Die Demonstranten machen das iranische Regime verantwortlich für die Naturkatastrophe – und für die mehreren zehntausend Toten. Ihr Argument: Es wurden in der Vergangenheit keine Präventivmaßnahmen getroffen, um große Menschenverluste zu vermeiden.

Der Nationale Widerstandsrat, ein Zusammenschluss von fünf oppositionellen Organisationen, zu dem auch die Volksmudschaheddin gehören, sieht zudem eine Menschenrechtskatastrophe kommen. Vor einem Transparent zum Andenken an die „120.000 Märtyrer“, die durch iranische Sicherheitskräfte bereits ermordet sein sollen, spricht Dabiran in die Mikrofone der Journalisten.

Er fürchtet nun auch um das Leben der 5.000, die unter Saddam Hussein sicher im Irak lebten: „Im Iran droht ihnen Mord und Folter. Sie haben ihre Waffen den Amerikanern freiwillig abgegeben. Daher gelten sie als Zivilisten und stehen unter dem Schutz der Genfer Konventionen.“ Die Freischärler seien jetzt in einem Camp an der Grenze zum Iran. „Viele von ihnen sind in Deutschland anerkannte Asylanten“, behauptet Dabiran und fordert die Bundesregierung dazu auf, sich für diese Menschen einzusetzen: „Die europäischen Länder sollen sie aufnehmen.“

Viele Demonstranten sind Familienangehörige der Internierten. Hanif Asyabani, ein Informatiker, erzählt auf Englisch, er habe seinen Job vor einigen Wochen aufgegeben, um für die Freilassung seines Zwillingsbruders zu kämpfen. Dieser sei mit ihm in Schweden aufgewachsen und setze sich lediglich für die Rechte seines Volkes ein.

Die 18-jährige Kölner Schülerin Aschraf Kambari macht sich Sorgen um ihre Mutter und ihren Onkel. Sie sei mit den beiden aus dem Iran nach Irak geflüchtet, als sie zwei Jahre alt war, nachdem ihr Vater im Iran zu Tode gefoltert worden war. Drei Jahre später hätten sie sie nach Köln geschickt, wo sie in Obhut eines iranischen Flüchtlingsvereins aufwuchs, in einer Wohngruppe von fünf Flüchtlingskindern. Sie hat volles Verständnis für den Kampf ihrer Familie: „Sie kämpfen für die Freiheit.“

Aber nicht alle sind politisch auf Linie. Nachdem seine Familie nach Köln emigrierte, habe er seinen Vater selten gesehen, berichtet der 19-jährige Majid. „Eines Tages verschwand er ganz. Nun meint meine Mutter, dass er zurückkommen soll. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.“ Viele andere junge Demonstranten teilten seine Gefühle, vermutet Majid. „Wir fühlen uns vernachlässigt. Wir sind nicht Anhänger der Volksmudschaheddin, aber all diese politischen Zusammenhänge bestimmen einfach unser Leben.“ Daher machen sie sich alle selbstverständlich große Sorgen um den Schicksal ihrer Angehörigen.

Doch das interessiert die meisten Passanten an diesem kalten Vormittag nicht besonders. Erst als die Berliner Musikgruppe Silvashado auftritt, sammeln sich vor allem junge Deutsche und schauen sich die merkwürdige Mischung an: Pop, altiranische Fahnen und Transparente mit einer Kalaschnikow und einer Sichel darauf. Nach zwei Liedern sind sie wieder weg.