Sächsische Nachhilfe für Afghanistans Lehrer

Seitdem Ministerpräsident Milbradt in Kabul war, kommen afghanische Lehrer nach Sachsen. Hier lernen sie, modernes Schulgerät zu bedienen, und erzählen, wie Schule in Kabul funktioniert. Und Deutsche lernen Bescheidenheit

DRESDEN/RADEBURG taz ■ An der Mittelschule im sächsischen Radeburg ist die Anwesenheit eines Lehrers aus Afghanistan durchaus Schulgespräch. Neben den Hospitationen und organisierten Gesprächsrunden bilden sich in den Pausen auch ganz spontane Diskussionsgruppen. Hamid Zia heißt der bescheidene, dunkelhäutige und eher kleine Mann mit der Pudelmütze auf dem Kopf, der Mittelpunkt dieser Runden ist.

Für zwei Wochen weilt der Physiklehrer auf Einladung der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung in Sachsen – eine Einladung, die wiederum auf den Besuch von Ministerpräsident Georg Milbradt im Mai in Kabul zurückgeht. Nach zwei Schulleitern ist Hamid der dritte afghanische Lehrer, der dieser Einladung folgt. „Ohne Hilfe können wir kein Schulsystem aufbauen“, erklärt er. Dabei weiß er, dass seine Amani-Oberrealschule schon zu den wenigen bevorzugten in Kabul gehört. Ein festes, intaktes Gebäude, Tische und Bänke statt des Unterrichts auf dem Fußboden, dank deutscher Hilfe eine Ausstattung der Unterrichtskabinette, die besser ist als in mancher armen deutschen Kommune.

Nicht vergleichbar allerdings sind die Schülerzahlen. 4.000 Schüler der oberen Klassen lernen hier, bis zu 60 in einer Klasse. Seit 80 Jahren wird hier Deutsch unterrichtet, und so kann sich Hamid, der selbst Schüler dieser Schule war, in Radeburg gut verständigen. Woran es seiner Schule fehlt, ist teilweise das Wissen, mit der modernen Ausstattung auch umzugehen. Deshalb vor allem ist Hamid hier, sitzt wie ein Schüler im Unterricht, lässt sich physikalische Experimente und Laborgeräte erklären. Zu Hause soll er dieses Wissen an seine Kollegen weitergeben.

Michaela Kirsch koordiniert dieses Projekt an der sächsischen Fortbildungsakademie in Meißen. Sie träumt davon, in Afghanistan ein ähnliches Netzwerk von Trainern und Mentoren für Lehrer wie in Sachsen aufzubauen. Im Februar wird sie wieder nach Kabul reisen. Und im kommenden August sollen sogar 10 Schüler der Amani-Schule nach Deutschland kommen.

Allen Beteiligten ist klar, dass diese sächsische Hilfe nur ein bescheidener Anfang für ein weites und kaputtes Land ist. Die 100 Euro, die Radeburger Schüler spontan auf einer Weihnachtsfeier gesammelt haben, wird Hamid lieber einer bedürftigeren Schule als seiner zukommen lassen. Persönlich, denn den Hilfsorganisationen und Spendenaktionen misstraut er. Zu oft versickern Gelder im afghanischen Wüstensand.

Einen ideellen Nutzen aber haben auch die Deutschen von solchen Kontakten. Nach Hamids Schilderungen, die nachhaltiger wirken als abgenutzte Fernsehbilder, hat sich gerade während des Weihnachtskaufrausches bei einigen Kindern Nachdenklichkeit eingestellt. Umgerechnet 40 Euro Monatsgehalt eines Lehrers reichen in Kabul nicht für eine sechsköpfige Familie. Hamid muss nachmittags eine zweite Arbeit annehmen, seine Frau ist ebenfalls Lehrerin. Anna aus der siebenten Klasse vergleicht: „Wir haben ein schönes Haus, und die Familie dort muss mit drei kleinen Zimmern auskommen …“

Michaela Kirsch zieht als Lehrerbildnerin noch einen weiteren Vergleich, nachdem sie den Unterricht in Kabul erlebt hat: Methodisch eintönig, aber begierig von den Schülern aufgenommen. Der Lehrer doziert 25 Minuten, alle hören mit großen Augen und ohne Störung zu. Anschließend wird nach der Wiederholung des Stoffes gefragt, fast alle Hände melden sich. Einzelne Kinder tragen mit Erfolg vor, etwas Zeit bleibt für Nachfragen und die Schulstunde ist vorbei. „Warum sind unsere Schüler dagegen oft so satt und wissensmüde?“, fragt Kirsch. Auf die Lernmotivation kommt es nun einmal überall auf der Welt an.

MICHAEL BARTSCH