Verletzungen leicht beschönigt

Als seien sie nie gefragt worden: Hamburger aus der ersten Generation türkischer Einwanderer erzählen in dem jüngst erschienenen Band „gekommen und geblieben. Deutsch-türkische Lebensgeschichten“ ihre Biographie. Fazit: Schiere Not war nicht der einzige Grund, Vertrautes zu verlassen

Geblieben ist nach jahrzehntelanger Arbeit oft nur eine dürftige Rente

von Jana Babendererde

Als Anfang der 60er Jahre erstmals eine größere Zahl von Menschen aus dem Ausland in die Bundesrepublik kam, geschah das aus rein ökonomischen Erwägungen. Doch das gilt mehr für die hiesigen Arbeitgeber, als für die Migranten selbst. Wie vielfältig die Motive der jungen Türken beiderlei Geschlechts gewesen sind, ihre Familien und Freunde zurückzulassen und hier ihr Glück zu suchen, darüber gibt der jüngst bei der edition Körber-Stiftung veröffentlichte Band gekommen und geblieben Auskunft.

Elf lebensgeschichtliche Interviews mit türkischen Migranten der ersten Generation hat der Hamburger Journalist und Filmemacher für das Buch zusammengetragen. Der Kontakt zu den meisten von ihnen konnte er über das Bergedorfer Alten-Projekt „Deutsch-türkische Teestunde“ herstellen, das auf eine Initiative des Sozialarbeiters Cengiz Yagli zurückgeht.

Nicht alle der Interviewten sind seinerzeit den offiziellen Wegen des Anwerbeabkommens zwischen der Türkei und der Bundesrepublik gefolgt. Manch einer kam zunächst als Tourist oder reiste gänzlich illegal ein, der Kaufmann Erdem Dilsen folgte seiner deutschen Freundin aus Paris, wo die beiden studierten, nach Norddeutschland. Hadiye Akin, die Mutter des Filmemachers Fatih Akin, hoffte darauf, in Deutschland studieren zu können, als sie 1968 einen Türken heiratete, der bereits ausgewandert war. Der Künstler Demir Gökgöl dagegen kam über Wien nach Hamburg, wegen seiner Liebe zu Jazz und klassischer Musik oder weil er einfach Hummeln unterm Arsch hatte.

Die wenigsten von ihnen stammen aus im strengen Sinne türkischen Familien. Bereits ihre Eltern hatten eine Migrationsgeschichte hinter sich, sie kamen nach dem Ersten Weltkrieg aus allen möglichen Gebieten des osmanischen Reichs, aus Sarajevo, Thessaloniki, Aserbaidschan, der Krim oder waren turkmenische Nomaden. Schiere Not allein, so viel wird deutlich aus den Berichten, reicht als Grund nicht aus, um alles Vertraute hinter sich zu lassen.

Nicht alle Migranten beschritten die offiziellen Wege des Anwerbeabkommens

Die meisten der Befragten sahen, einmal in Deutschland angekommen, ihre Träume bald zerplatzen. Eine dürftige Rente ist alles, was ihnen nach all den Jahren geblieben ist, in denen sie die hiesigen Sozialkassen durch das Verrichten körperlich harter und stumpfsinniger Arbeit gefüllt haben. Warum sie trotzdem geblieben sind, wie sie zur deutschen Staatsbürgerschaft stehen, wo sie sich gewehrt haben gegen Gängelungen im Betrieb, auf der Ausländerbehörde oder bei der Wohnungssuche, darüber berichten sie so ausführlich, als hätte sie noch nie jemand danach gefragt. Dass sie dabei auch ein bisschen lügen, Verletzungen beschönigen, wer kann es ihnen verübeln.

Was aus den Interviews nicht hervorgeht, ergänzen ein Rahmentext der Journalistin Dilek Zapticioglou und die Einleitung von Michael Richter. Einen Ausblick auf die Perspektiven der zweiten Generation türkischer Einwanderer gibt die Sprecherin der SPD-Fraktion für Migration, Aydan Özoguz, die auch das Projekt „Deutsch-Türkischer Dialog“ in der Körber-Stiftung aufgebaut hat.

Michael Richter: gekommen und geblieben. Deutsch-türkische Lebensgeschichten, edition Körber-Stiftung, Hamburg 2003, 280 S., 14 Euro