unterm strich
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Aus dem Bereich der Sprach-, vielleicht besser sogar der Heimatforschung: Weil die Sprache der alten Kiezer – der Zuhälter, Prostituierten und Türsteher – auf St. Paulis Reeperbahn in Hamburg fast ausgestorben ist, hat der Münsteraner Sprachwissenschaftler Klaus Siewert versucht, den „Nachtjargon“ für die Zukunft zu retten. Mit Hilfe der ehemaligen und mittlerweile ausgestiegenen Kiez-Größe Stefan Hentschel hat Siewert in seinem neuen, 232 Seiten starken Buch „Hamburgs Nachtjargon – Die Sprache auf dem Kiez in St. Pauli“ einen etwa 1.000 Begriffe umfassenden Wortschatz zusammengetragen.

„Die Szene auf St. Pauli ist längst nicht mehr in deutscher Hand“, sagt Siewert. Wer heute etwas zu verheimlichen habe, benutze einfach seine Heimatsprache. Der Nachtjargon, vermutlich so betagt wie die Prostitution selbst, sei dagegen entstanden, um unter Deutschsprachigen Außenstehende von wichtigen Informationen fernzuhalten. Befahl etwa ein Zuhälter seiner Dirne, bei einem Freier „nachzukobern“, so sollte die Dame für ihre Liebesdienste mehr Geld verlangen als ursprünglich ausgemacht. War von einer „Tille“ die Rede, meinte man die Hure.

„Viele Begriffe sind aus anderen Geheimsprachen eingeflossen, etwa aus dem Rotwelsch oder der Masematte“, sagt der Münsteraner Wissenschaftler, der auch Präsident der Internationalen Gesellschaft für Sondersprachenforschung ist und sich seit 1988 dem Thema Geheimsprachen widmet. Auch aus dem Jüdisch-Deutschen und dem Niederdeutschen haben die Kiezgrößen ihre geheimen Wortschöpfungen entlehnt. Andere kommen aus der Standardsprache und wurden umgedeutet oder bekamen einen völlig neuen Inhalt. Für jeden Kiezer war lange Zeit klar, dass ein „dänischer Kuss“ eine herkömmliche Kopfnuss ist, und dass sich hinter der scheinbar exotischen „Grönlandschwalbe“ eine profane Ohrfeige versteckt.

Siewert musste lange suchen, ehe er auf St. Pauli noch alte Kiezer antraf, die ihm etwas zu der Geheimsprache des Nachtjargons sagen konnten. „Der Zugang ist sehr schwer“, sagt der Wissenschaftler mit einer Vorliebe für die Stadt Hamburg. „Es sind eher 20 als 200“, zitiert Siewert einen Szene-Insider, die den Nachtjargon noch heute sprechen. Vieles von dem, was einst Zuhälter und Barfrauen, Türsteher und Dirnen in langen Nächten ersannen, ist inzwischen auch in die herkömmliche Umgangssprache eingegangen. Der „AOK-Chopper“ (Rollstuhl) ist nach Auffassung Siewerts ursprünglich genauso originärer Nachtjargon wie der Begriff „Asche“ für Geld, die man „verbraten“, also ausgeben kann.