Angst vor einem Chaos im Irak

Die kleine christliche Minderheit fühlt sich vom laizistischen Regime beschützt. Viele fürchten einen Zusammenbruch der Ordnung und innerreligiöse Auseinandersetzungen im Falle eines Krieges. Besuch in einem Kloster im Norden des Landes

aus Mosul KARIM EL-GAWHARY

Der Ort ist symbolisch für die gesamte Situation des Irak. Als das Auto sich mühsam die Serpentinen zum Bergkloster des heiligen Mathaeus am Rande Kurdistans hinaufschlängelt, geht die Sichtweite nach Vorne praktisch gegen Null. Eine halbe Autostunde von der nordirakischen Stadt Mosul entfernt, in einem Gebiet, das noch von der Zentralregierung in Bagdad kontrolliert wird, ist der Ort christlicher Abgeschiedenheit in den dicken Schwaden des Winternebels eingehüllt.

Behnam Samarci ist einer von drei assyrisch-orthodoxen Mönchen und zwei Priestern, die sich an diesem Ort einem Leben voller Gebete verschrieben haben. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den autonomen kurdischen Gebieten und bereits in der nördlichen Flugverbotszone gelegen, könnte es mit der sprirituellen Entrückheit demnächst allerdings vorbei sein, wenn das Kloster mitten im Kriegsgebiet liegt.

Samarci ist jedenfalls über die politischen Vorgänge über sein Radio informiert. Die Logik der USA, dass ein Krieg den Menschen Gutes und Frieden bringe, entziehe sich ihm, sagt Bruder Samarci. Um das Kloster selbst macht er sich weniger Sorgen. Es in den Berg hineingebaut und hat einen eigenen Brunnen. Für den Fall, dass der Strom ausfällt, gäbe es mehr als genug Kerzen. „Nur wenn sie uns die Luft abdrehen, haben wir ein Problem“, scherzt er.

In der 1.700-jährigen Geschichte des Klosters haben rund um dessen Berg schon manche Kriege stattgefunden. Einst sind die Mongolen vorbeigezogen, haben die Bücherei ausgeplündert und die Werke auf zwölf Kamelen abtransportiert, erzählt Samarci. Und in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts sei die klösterliche Ruhe gelegentlich durch Überfalle kurdischer Kämpfer gestört worden. Bei einem dieser Angriffe seien die Olivenhaine rund um das Kloster abgehackt worden.

Was im Krieg passiere, könne niemand voraussagen, bemerkt der Mönch und fährt zweideutig fort: Jesus habe sich geopfert, aber das sei eine himmlische Angelegenheit. „Es gibt keinen anderen wichtigen König auf Erden, der sich dem Feind übergeben.“ Dann rezitiert der christliche Mönch eine Koransure: selbst wenn man etwas fürchte und hasse, könnte am Ende etwas Gutes dabei herauskommen.

Gerade einmal 6 Prozent der 23 Millionen Irakis gehören dem christlichen Glauben an. Als Minderheit fühlt sich mancher von ihnen durch das arabisch nationalistische säkulare System Husseins in dem Land mit einer großen muslimischen Mehrheit beschützt. Viele von ihnen stehen dem Regime nahe. Vier Christen, darunter Vizepremier Tarek Asis, ein kaldäischer Christ, bekleiden Ämter im Ministerrang. Unter der Hand fürchten viele von ihnen, dass sie einen hohen Preis bezahlen, sollte in Folge des Krieges die öffentliche Ordnung zusammenbrechen, ein Bürgerkrieg ausbrechen und die Religionsgemeinschaften und Ethnien des Landes aufeinander losgehen. Was während und nach einem Krieg passieren könne, sei nicht vorauszusehen, sagt Bruder Samarci vorsichtig. „Wenn der Geist der Rache vorherrscht, haben wir ein großes Problem.“ Trotzig fügt er hinzu: „Wir hoffen, dass es keinen Krieg gibt, aber wenn es doch unser Schicksal ist, müssen wir damit umgehen und eben alles wieder aufbauen.“

Ein wenig Zuversicht mag dem Mönch auch geben, dass er an einem Ort eines christlichen Wunders betet. Der heilige Mathaeus soll an der Stelle des Klosters einst Sarah, die Tochter des Königs Sanhareeb, auf wundersame Weise von ihrer Leprakrankheit geheilt haben. „Am Ende“, sagt Bruder Behnam Samarci, „ist das Verhältnis von Himmel und Erde eine Frage des Vertrauens.“