Leichen dürfen in München nicht mehr reiten

Die umstrittene Anatomieausstellung „Körperwelten“ darf unter Gerichtsauflagen nun doch gezeigt werden

MÜNCHEN taz ■ Dies ist die richtige Zeit und der richtige Ort, um einmal mit den ganzen Vorurteilen aufzuräumen. Gunther von Hagen steht freudestrahlend in der „München Arena“, wo zur feierlichen Eröffnung seiner Ausstellung „Körperwelten“ Kanapees und Prosecco gereicht werden. Dabei hatte es bis vor ein paar Stunden an diesem Freitagabend nicht danach ausgesehen, als wenn es hier etwas zu feiern geben sollte.

Denn die Stadt München hatte die „Körperwelten“ Ende Januar verboten. Die Stadträte befanden, dass die plastinierten Leichen, die in den Körperwelten in verschiedenen Posen in Szene gesetzt werden, „die Würde der Verstorbenen und das sittliche Empfinden der Allgemeinheit verletzen“. Am Freitagmittag hob der bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) das Verbot auf – 20 Stunden vor der geplanten Eröffnung. Deshalb strahlt Gunther von Hagen jetzt, auch wenn er es „falsch findet, in Triumphgeheul auszubrechen“.

Aber die Vorurteile müssen einfach weg. Erstens: „Ich bin kein Beuys-Verschnitt, ich trage einen ganzen anderen Hut.“ Zweitens: „Ich bin auch kein Eiferer und kein Guru.“ Dafür aber ein „Demokrat“. Und als solcher akzeptiert der Heidelberger Anatom die Auflagen des Gerichts, das sechs seiner Leichen aus der Ausstellung verbannt hat, weil sie didaktisch und wissenschaftlich anspruchslos seien. Außerdem untersagten die Richter den Verkauf von Merchandising-Artikeln wie Uhren, Mouse-Pads und T-Shirts, weil „diese Form der Kommerzialisierung die guten Sitten und die Pietät missachte“. Warum nun ein Pferd samt Reiter oder ein Fechter nicht gezeigt werden dürfen, dafür aber Leichen, die als Schachspieler oder Radfahrer drapiert worden sind, ist unverständlich und zeigt, auf welchem unsicheren Grat das Gericht sich bei seinen Interpretationen der Exponate bewegt hat.

Deshalb dürfte es von Hagen auch Sorgen bereiten, dass der VGH in seinem Spruch die Plastinate im juristischen Sinne nicht als Ausstellungsobjekte, sondern als menschliche Körper definierte. Damit bleibt die Debatte um die Menschenwürde erhalten, zumindest bis zur Hauptverhandlung. Dort, so hofft von Hagens Anwalt Holger Schmitz, werde man endgültig belegen können, dass es sich bei den Plastinaten „um neue Präsentationsformen postmortaler Darstellungen“ handelt. Die wären dann etwa menschlichen Skeletten vergleichbar, wie man sie aus Anatomiekursen kennt. Und die, so von Hagen, „bezeichnet auch niemand als Leiche“.

Ob Leichen oder nicht, die ersten Besucher am Wochenende betrachten die Exponate mit gemischten Gefühlen. Es herrscht kein großer Andrang, aber manche begeisterten Eltern haben gleich ihre kleinen Kinder mitgebracht, „man bekommt den Körper doch sonst nie so anschaulich zu sehen“. Andere gehen kopfschüttelnd durch den Saal und schimpfen dann im Gästebuch über die „menschenverachtende Inszenierung“. Solche Reaktionen, sagt von Hagen, kämen auch durch die sensationsgierige Berichterstattung in der Presse zustande, und deshalb „liegt mir viel an einer Versachlichung der Diskussion“.

Deshalb hat er auch eine Fotostrecke mit seinen Leichen an prominenten Münchner Plätzen im Lifesyle-Magazin Max platziert, deshalb hat er Münchens größtes Boulevardblatt, die Abendzeitung, als Präsentator gewonnen. Keine Frage, wie deren Berichterstattung während des Streits um die Ausstellung ausfiel. Gunther von Hagen sagt noch bedauernd, er sei „einfach nicht mediengewandt“. Man kann das glauben.

JÖRG SCHALLENBERG