Verwaschene Mischung

Die Ausstellung „Körperwelten“ ging am Sonntag endlich zuende. Der große Plastinator Gunther von Hagens hat seine Leichen wieder eingepackt und transportiert sie nach Frankfurt. Ein Nachruf

von Eberhard Spohd

Der Herr trägt einen seltsamen Hut. Außerdem hat er seinen Namen geändert. Er schneidet gerne an Leichen herum und tut dies mit Vorliebe öffentlich. Nein, die Rede ist nicht von Gunther von Hagens, sondern von Nicolaes Tulp, einem holländischen Anatom aus dem 17. Jahrhundert. Verewigt wurde er bei seinem makaberen Tun von niemand Geringerem als Rembrandt, dessen Bild nicht nur den Arzt weltberühmt machte, sondern auch Zeugnis davon ablegt, dass die Beschäftigung mit den Toten nicht immer nur wissenschaftlichen Zwecken diente.

Sektionen von Hingerichteten oder von Armen, die in den Grachten ertrunken waren, wurden durchaus öffentlich veranstaltet und dafür Geld verlangt. Mit den Gewinnen veranstalten die Chirurgen in Amsterdam ihr jährliches Gala-Diner. Die Veranstaltungen fanden im so genannten Theatrum Anatomicum statt, meist im Winter, um den Verwesungsgeruch möglichst minimal zu halten. Dass dabei auch Kunstwerke, meist im Auftrag der Ärzte-Innungen, erstellt wurden, war ebenfalls üblich. Einige dieser Genrestücke wurden berühmt wie das von Rembrandt.

Gunther von Hagens sieht sich selbst in der Tradition dieser Chirurgen. Er sezierte in London öffentlich einen Menschen – die rund 500 Zuschauer bezahlten 12 Pfund Eintritt –, und er tat das unter genau diesem Gemälde. Als ein Zuschauer forderte, er solle aus Respekt vor dem Toten den Hut abnehmen, verwies er auf seinen Vorgänger und sagte, er trage ihn aus Respekt vor Doktor Tulp, in dessen Tradition er stehe. Schließlich wollte Hagens das Anatomische Theater wieder auferstehen lassen.

Ein anderer berühmter Anatom aus dem 17. Jahrhundert war Frederik Ruysch. Ihm gelang zum Erstaunen seiner Umwelt etwas, dass fast wie ein Wunder erschien: Er konnte menschliche Körper auch nach dem Tod noch lebendig halten. Mit einer geheim gehaltenen Methode konservierte er die Leiber und stellte sie öffentlich aus, damit Besucher – darunter Peter der Große, der so beeindruckt war, dass er die Leiche eines Kindes küsste und große Teile der Sammlung erwarb – sie anschauen und bestaunen konnten. Und nicht nur das: Aus Körperteilen komponierte er wahre Kunstwerke, die immer wieder eines verdeutlichen sollten: Das Leben ist vergänglich, nur der schmerzliche Tod ist sicher.

Eine Vision, von der Gunther von Hagens meilenweit entfernt ist. Zwar zitiert er in seiner Ausstellung „Körperwelten“ häufig barocke Darstellungen. So gemahnt sein plastinierter Leib auf dem Pferd an die Apokalyptischen Reiter, die skelettiert in den Anatomischen Theatern standen. Oder er lässt einen Menschen seine eigene Haut vor sich hertragen, was als Illustration auch in anatomischen Atlanten der Zeit immer wieder auftauchte. Doch Hagens beraubt sie ihres Sinns. Nicht mehr der Vanitas-Gedanke steht im Mittelpunkt seines, sondern eine verwaschene Mischung aus Volksaufklärung, Sensationslust, Egomanie und Geschäftsbewusstsein. Die Gerüchte um die fragwürdige Herkunft der für die Ausstellung verwandten Leichen kommen noch erschwerend dazu.

Zwar darf man dem Mediziner gerne abnehmen, dass ihm etwas daran liegt, den Besuchern das Innerste des Menschen bekannt zu machen. Allein sein Bezug auf die lange zurückliegende Vergangenheit, als der Umgang mit dem Tod mehr war als ein Spiel mit dem Makaberen, zeigt deutlich, dass der Mann der großen Gesten sich überheblich übernimmt. Hätte Hagens erkannt, was hinter der öffentlichen Präsentation tatsächlich steckte, wäre er sich seiner Wichtigkeit wohl längst nicht mehr so sicher. So fällt er sogar weit hinter die aufklärerische Arbeit seiner Kollegen, die selbst seit 400 Jahren tot sind, zurück.

Nicht umsonst steht auf einem Stich des Theatrum Anatomicum von Leiden ein an den Tod mahnendes Skelett mitten im Zuschauerraum und hält ein Banner mit der Aufschrift „Homo bulla“ – Der Mensch ist eine Seifenblase – hoch. Gunther von Hagens „Körperwelten“ sind nichts anderes: Seifenblasen.