Größtes Revier der Republik

Das Saarland ist noch ein bisschen größer. In Ostberlin werden im Zuge der Polizeistrukturreform zwei Direktionen zu einem Großrevier zusammengefasst. Wo bleibt die Bürgernähe?, fragen Kritiker

von OTTO DIEDERICHS

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Eine neue Grenzlinie, die beinahe den gesamten Ostteil der Stadt umschließt, wird Berlin ab diesem Sommer allerdings schon durchziehen. Die Grenze der ab 1. Juli einzurichtenden Polizeidirektion 6-neu wird dann von Köpenick im Süden über Treptow und Lichtenberg bis nach Hohenschönhausen im Norden reichen (siehe Grafik). Dazu werden die derzeitige Direktion 6 (Köpenick, Treptow, Friedrichshain, Lichtenberg) und nahezu die komplette Direktion 7 (Hellersdorf, Marzahn, Hohenschönhausen, Weißensee, Prenzlauer Berg) zusammengelegt. Lediglich für die Bezirke Weißensee und Prenzlauer Berg wird die Direktion ihre Zuständigkeit an die Direktion 1 (Reinickendorf, Wedding, Pankow) abgeben, gleiches gilt für zwei Polizeiabschnitte im Süden, die unter das Dach der Direktion 5 kommen. Damit sollen dann anderthalb Jahre nach der Berliner Bezirksreform auch die Direktionsgrenzen der Polizei der neuen Struktur angepasst werden.

Der Mann, den Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und Polizeipräsident Dieter Glietsch nun dazu ausersehen haben, für sie das Kunststück zu vollbringen, einzusparen und dabei am Ende dennoch das Doppelte zu erhalten, heißt Michael Knape. Zur Zeit ist der Leitende Polizeidirektor, der im Ruf steht, zupacken zu können (siehe Porträt unten), noch Leiter der aufzuflösenden Direktion 7. Diese Eigenschaft wird er brauchen. Wenn im Sommer der Startschuss für die Fusion fällt, liegt eine Herkulesaufgabe vor ihm.

Das Projekt ist zugleich Teil einer umfassenden Neuordnung der Führungs- und Organisationsstrukturen bei der Berliner Polizei. Dabei sollen die Hierarchieebenen ausgedünnt, der administrative Aufwand verringert und die Führungsfähigkeit insgesamt verbessert werden. Zugleich soll „die Eigenverantwortung und der Gestaltungsspielraum“ der örtlichen Direktionen gestärkt werden.

Dass gerade dies im Falle der neuen Ost-Direktion möglich sein kann, wird jedoch von nicht wenigen bezweifelt. Rund 750.000 Einwohner werden dann nämlich in der Polizeidirektion 6-neu leben. Im gesamten Saarland sind es gerade einmal eine Viertelmillion mehr. Auch flächenmäßig wird die Direktion 6-neu zu einem der größten „Polizeireviere“ Deutschlands. Im Vergleich mit dem Bundesgebiet kann sie es ohne weiteres mit zwei bis drei Polizeipräsidien aufnehmen.

Schon aufgrund der großen Fläche könne „von Bürgernähe keine Rede mehr sein“, kritisiert denn auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter. Zudem würden durch den Neuzuschnitt mit den Teilbezirken Friedrichshain und Lichtenberg zusammenhängende Kieze getrennt, in denen zum Teil dieselben Tätergruppen aufträten. Insbesondere bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität und im Präventionsbereich sei dadurch ein erheblicher Mehraufwand zu erwarten.

Die Polizeiführung ihrerseits hat bereits im Herbst vorigen Jahres eifrig das zu erwartende Arbeits- und Kriminalitätsaufkommen berechnen lassen und kontert mit der Statistik. Demnach ist etwa in der Polizeidirektion 2 (Spandau, Charlottenburg, Wilmersdorf), die rund 200.000 Einwohner weniger haben wird, die Zahl der Verkehrsunfälle höher als in der künftigen Direktion 6-neu. Bei den Funkstreifeneinsätzen lägen beide Direktionen trotz einer höheren Belastung mit Straßenkriminalität im Ostteil Berlins dennoch gleichauf. Gleichwohl befürchtet die Gewerkschaft der Polizei die Entstehung einer „unführbaren Großzentrale“. Wer am Ende Recht hat, wird sich wie stets in solchen Fällen erst an der Realität zeigen.

Ein Problem allerdings bleibt. Durch die Umstrukturierung werden auch Polizeiabschnitte, die bereits nach dem „Berliner Modell“ arbeiten, mit solchen zusammengeführt, in denen das Modell noch nicht eingeführt ist. Hier geben die Beamten der Schutzpolizei Diebstahlsanzeigen und Ähnliches zur weiteren Bearbeitung an die Kriminalpolizei ab, während beim Berliner Modell kleinere Delikte von der Schutzpolizei selbst bearbeitet werden, um die Kripo-Kollegen zu entlasten. Durch eine solche „Mischdirektion“, so fürchten die Kriminalbeamten, wird es zwangsläufig zu komplizierten Bearbeitungsverfahren und damit zu „Reibungspunkten zwischen den Kollegen der Abschnitte“ kommen.

Völlig unklar ist zudem, wie sich die neue Grenzziehung auf die Stimmung der Bürger und Bürgerinnen im Berliner Osten auswirken wird. So hält es etwa die innenpolitische Sprecherin der PDS, Marion Seelig, „für problematisch“, wenn sich demnächst fünf Polizeidirektionen den Berliner Westen teilen und nur eine einzige für fast den gesamten Ostteil zuständig ist. „Dies könnte bei den betroffenen Bürgern und Bürgerinnen das Gefühl auslösen, dass sie nicht im Blickfeld der inneren Sicherheit liegen“, befürchtet Seelig.

Gleichwohl, ganz so überraschend kommt die Neuordnung nicht. Schon in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre, als die Überlegungen zur Reduzierung der ehemals 23 Berliner Bezirke auf nur noch 12 erste konkrete Gestalt annahmen, gingen auch die polizeilichen Planer daran, ihre alten Direktionsgrenzen an die künftige Gebietsstruktur anzugleichen. Seit Ende 1997 liegen die Pläne in den Schubladen des Präsidiums am Platz der Luftbrücke. Nur an die Ausführung hat sich vor den „Machern“ Dieter Glietsch und Michael Knape niemand herangetraut.