Forschender Weltenbürger

Der deutsche Georg Forster brach mit James Cook zur Weltumseglung auf. Er zeichnet Pflanzen und Tiere und hinterfragte andere Sitten ohne koloniale Attitüde. Eine Neuauflage des Reiseklassikers

„lndeß pflegen alle ungesitteten Völker den Weibern die Rechte zu versagen“

VON EDITH KRESTA

Er war Vorbild für den schließlich viel berühmteren Alexander von Humboldt, Goethe speiste im Kreise seiner Familie, Schiller verehrte ihn: Georg Forster. Heute ist er fast vergessen. Im Schlepptau seines egomanischen Vaters heuerte der 17-Jährige als Naturkundler für die zweite Weltumsegelung von Kapitän James Cook auf der „Resolution“ an. Die Reise dauerte von 1772 bis 1775. Sie führte vorbei an Kapstadt und dem Kap der Guten Hoffnung, durch den Indischen Ozean Richtung Pazifik. Dort segeln die beiden Schiffe „Resolution“ und „Adventure“ zwischen Neuseeland und Tahiti. Dreimal wagt Cook einen Vorstoß in die antarktischen Gewässer, muss aber jedes Mal den Eismassen weichen. Zurück ging es vorbei am Kap Horn wieder durch den südlichen Atlantik und nach Kapstadt, von dort nordwärts nach England. In der Anderen Bibliothek dokumentiert ein großformatiger, schwerer Band Forsters Reisebeschreibungen neu. Die 645 Seiten starke „Reise um die Welt“ ist illustriert mit Aquarellen und Zeichnungen des Naturforschers Forster, die er zwischen Südsee und Antarktis von mehr als 500 Tieren und Pflanzen angefertigt hat. Herausgekommen ist eine wunderschöne Ausgabe dieses Klassikers der Reiseliteratur, der sich auch heute noch gut liest. Denn der junge Forster pflegte im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen einen unverschnörkelten, klaren Schreibstil.

„Zu all diesen Unannehmlichkeiten gesellte sich endlich noch die düstere Traurigkeit,welche unter dem antarctischen Himmel herrscht, wo wir oft ganze Wochen lang in undurchdringliche Nebel verhüllt zubringen mußten, und den erfreulichen Anblick der Sonne nur selten zu sehen bekamen, ein Umstand, der schon allein vermögend ist den Entschlossensten und Lebhaftesten niedergeschlagen zu machen.“

Doch die Reise bietet nicht nur „gehäuftes Elend“. Es gibt auch berauschende Momente, beispielsweise beim Anblick der Halbinsel O-Thaiti:

„Wir fanden bald, dass diese Gegend in der Nähe nichts von ihren Reizen verlöre, und daß Herr von Bougainville nicht zu weit gegangen sey, wenn er dies Land als ein Paradies beschrieben… Die Wohnungen der Indianer bestanden nemlich mehrentheils nur aus einem Dach, das auf etlichen Pfosten ruhte und pflegten übrigens, an allen Seiten offen, ohne Wände zu seyn. Diese sind auch, bey dem vortreflichen Clima des Landes, welches vielleicht eins der glücklichsten auf Erden ist, vollkommen gut zu entbehren.

Aber bei aller Würdigung des Klimas und der Schönheit der Natur überhöht Forster nichts. Er räsoniert über kulturelle Unterschiede und die fehlgelaufene koloniale Eroberung der Welt. Er ist Humanist und Aufklärer.

„Selbsterhaltung ist ohnläugbar das erste Gesetz der Natur, blos um diese zu befördern, pflanzt sie unseren Herzen Leidenschaften ein. In der bürgerlichen Gesellschaft sind wir, vermittelst gewisser Gesetze und Verordnungen, freywillig dahin übereingekommen, daß nur einigen wenigen Personen die Sorge überlassen seyn soll, das Unrecht zu rügen, was jedem Mitgliede insbesondere widerfährt: Bey den Wilden hingegen verschafft sich ein jeder selbst Recht …“

Auch das Geschlechterverhältnis dünkt dem reflektierten 22-jährigen Chronisten zutiefst ungerecht. Seine Überlegungen sind seiner Zeit weit voraus, für einen Mann ohnehin ungewöhnlich. Nachhaltig beschäftigt ihn nicht zuletzt, dass die einheimischen Männer in Neuseeland ihre Töchter und Schwestern den sexuell ausgehungerten Matrosen für ein Hemd oder einen Nagel unter Gewaltandrohung anbieten.

„Indeß pflegen alle ungesitteten Völker den Weibern die allgemeinen Rechte der Menschheit zu versagen, und sie als Geschöpfe von niederer Art zu behandeln; denn der Gedanke, Glück und Freude im Schoos einer Gefährtin zu suchen, entsteht erst bei einem höheren Grad von Cultur. So lange nemlich der Mensch noch unabläßig mit der Sorge für seine Erhaltung beschäftigt ist, so lange können nur wenige verfeinerte Empfindungen im Umgang zwischen beyden Geschlechtern statt haben, vielmehr muß sich dieser blos auf thierischen Genuß einschränken. Auch sieht der Wilde die Schwäche und das sanft duldende Wesen der Weiber nicht für Aufmunterung und Schutz bedürfende Eigenschaften, sondern vielmehr als Freyheitsbrief zur Unterdrückung und Misshandlung an, weil die Liebe zur Herrschsucht dem Menschen angeboren, und so mächtig ist, daß er ihr, zumal im Stande der Natur, selbst auf Kosten des Wehrlosen frönet.“

In einem vorangestelltem biografischen Essay erzählt Klaus Harpprecht Georg Forsters spannendes Leben. Er wurde am 27. November 1754 als Sohn des Pastors Johann Reinhold Forster in der Nähe von Danzig geboren. Sein Vater unterrichtete ihn in Botanik, Zoologie, Geografie und Völkerkunde. Er lernte mehrere Sprachen. Trotz der verkrachten Existenz des dominanten Vaters besaß dieser guter Kontakte in die Welt der Wissenschaften.

Während der schwierige Vater die beschwerliche Reise mit James Cook nur missmutig erduldete, begeisterte sie den jungen Forster. Zwei Jahre nach seiner Rückkehr veröffentlichte er seinen Expeditionsbericht „A Voyage Round The World“. Ein historisches Dokument, das bald auch in deutscher Sprache erschien.

Forster, der sich stets gegen koloniale Attitüden gegenüber „den Wilden“ verwahrte, preist nach seiner Welterkundung die „Sittlichkeit und Religion“:

„In einem Winkel der Erde hatten wir, nicht ohne Mitleid, die armseligen Wilden von Tierra del Fuego gesehn; halbverhungert, betäubt und gedankenlos, unfähig sich gegen die Rauhigkeit der Natur zu schützen, und zur niedrigsten Stufe der Natur bis an die Gränzen der unvernünftigen Thiere herabgewürdigt. In einer anderen Gegend hatten wir die glücklicheren Völkerschaften der Socitäts-Inseln bemerkt; schön von Gestalt und in einem vortreflichen Clima lebend, welches alle ihre Wünsche und Bedürfnisse befriedigt. Ihnen waren schon die Vortheile des geselligen Lebens bekannt; bey ihnen fanden wir Menschenliebe und Freundschaft, ihnen war es aber auch zur Gewohnheit geworden, der Sinnlichkeit bis zur Ausschweifung Raum zu geben. Durch die Betrachtung dieser verschiedenen Völker, müssen jedem Unparteyischem die Vortheile und Wohlthaten, welche Sittlichkeit und Religion über unseren Welttheil verbreitet haben, immer deutlicher und eindringlicher werden.“

Die Französische Revolution schien seinen humanistischen Traum von Freiheit, Moral und Gerechtigkeit zu verwirklichen. Er wird ihr glühender Anhänger und als Gesandter der Rheinischen Republik nach Paris geschickt. Dort erlebt er zu seiner Verbitterung auch den Terror des Umbruchs. Einsam und getrennt von seiner Familie starb er vor seinem 40. Lebensjahr in Paris. Zeitlebens war er ein „Weltenbürger“, so nannte er sich selbst, geblieben.

Georg Forster: „Reise um die Welt“, Eichborn 2007, 645 Seiten, 99 €