Widerspruch im Vortragsaal

Bei Neumanns zu Hause: In der zweiten „Neustadt“-Staffel referierten am Sonntag unter anderen die indische Frauenrechtlerin Flavia Agnes und die indische Filmemacherin Madhusree Dutta über alternative Stadtentwicklung, Bombay und Bollywood

von MANFRED HERMES

Kleine schwarze Taxis mit gelben Dächern fahren an Palmen vorbei über zwei Videowände. Sie rahmen eine weitere Leinwand ein, auf der den ganzen Abend eine Übertragung aus dem „Neustadt“-Modell zu sehen ist, ein Ersatz-Slum aus verschachtelten Pavillons und Werbebannern. Die neuen Projekte der Gruppe „ErsatzStadt“ passen sich in diesen Kontext gut ein. Am Sonntag gab es eine Präsentation zum Thema alternative Stadtentwicklungen, Bombay und Bollywood.

Kurz nach den 92er Rassenkämpfen, die zu einer deutlichen Ausgrenzung der muslimischen Minderheit führten, wurde Bombay 1995 in einem Akt postkolonialer Purifizierung in Mumbai zurückbenannt. Dass kulturelle Ursprünglichkeit eine Fiktion und niemals einholbar ist, versuchte Flavia Agnes, eine Anwältin und „Ikone der indischen Frauenbewegung“, in ihrem Vortrag zu zeigen. Sie rollte die verschiedenen Ebenen einer längst nicht nur von den Briten beeinflussten Kolonial- und Wirtschaftsgeschichte auf und verband diese mit den aktuellen Konkurrenzen der großen Städte um internationales Kapital.

In Bombay werden aber nicht nur die weltweit höchsten Büromieten verlangt, sondern es ist vor allem ein Ort, an dem eine vielschichtige Zwischen- und Nebenökonomie existiert. In dieser Ökonomie kennt sich die Filmemacherin Madhusree Dutta (von der Initiative „majlis“) aus und erzählte souverän einige Geschichten zum Thema. Nicht zuletzt ist Bombay bekannt für eine traditionsreiche Filmproduktion. „Urbanismus und Film“, „Repräsentation von Bombay im Film“ sind da nahe liegende Motive in einer Diskussion über alternative städtebauliche Strukturen. Trotzdem wurden solche Zusammenhänge an diesem Abend oft etwas ächzend hergestellt. Im Übrigen ließe sich, was Madhusree Dutta als spezifisch für die Situation des frühen Films in Indien beschrieb, auch über Amerika oder Europa sagen: Die inhaltliche Nähe des Films zum Vaudeville, die über ein Jahrzehnt auch eine räumliche Nähe hatte, die konfliktreiche Verdrängung der Live-Events und die Entstehung von Lichtspielhäusern. Auch in Indien führte erst die Einführung des Tonfilms zur Standardisierung von Filminhalten und -formen.

Am Beispiel des „Alfred Cinema“ zog Dutta dann eine tatsächliche Sonderform indischer Städte heran, sozusagen den Modernisierungsverlierer in der Kinolandschaft. Auch hier wird aus der Not – kein Geld für technische Innovationen – eine Tugend gemacht: In den Kinos dieser Gattung werden für wenig Geld nur alte Nicht-Breitwand-, Nicht-Dolby-Filme durchgenudelt, wodurch sich nicht nur eine Filmkultur, sondern als Nebeneffekt auch der Beruf des Filmplakatmalers erhalten hat.

Es ist gar nicht einfach, die Komplexität von Themenbereichen darzustellen, ohne selbst wieder Bilder und Behauptungen zu produzieren. Eine klingt so: In Städten wie Bombay führen konkrete Migrations- und Lebensverhältnisse zu sozialen Organisationsformen, die auch Möglichkeiten für westliche Verhältnisse enthalten. Vielleicht ist das so, vielleicht könnte das sogar die FDP interessieren.

Interessanter ist in diesem Zusammenhang vielleicht die unentschiedene Rolle, die sich das Theater zumisst, wenn es Widersprüche nicht mehr durch eine Dramatik, sondern am effektivsten durch die aufklärerischen Möglichkeiten von Vortragssaal und Dokumentarismus durchspielt. Nicht durch Involvierung, sondern ein Beeindrucken mit Flachbildschirmen, Binnenmajuskeln, Stehordnern und Kopienbündeln. Diese extensive Faktografie traf auf ein Publikum, das sich willig seine postpolitischen Lektionen abholte.