Mädchen allein zu Haus

taz-Serie: Die Folgen der Etatkürzungen des Landes für die Kinder- und Jugendarbeit. Teil 3: „Mädchenhäuser“

GLADBECK taz ■ Ins Gladbecker Mädchenhaus kommen diejenigen, für die es nur selten Angebote gibt: Türkische und libanesische Mädchen und Frauen. „Wir sind die einzige Anlaufstelle für diese Gruppe“, sagt die Leiterin des Mädchenhauses Alexandra Conscience. Und ihr Angebot kommt gut an: Die Kurse sind ausgebucht, jeden Tag kommen etwa zwanzig Frauen und Mädchen ins Mädchenhaus.

Das Mädchenhaus liegt in der ältesten Bergarbeitersiedlung des Ruhrgebiets, in Gladbeck Mitte. Hier leben besonders viele MigrantInnen und ärmere Arbeiterfamilien. Frauen und Mädchen, die Gewalt erfahren haben, die Hilfe bei den Hausaufgaben für die Schule benötigen oder einfach unter sich sein wollen, können hier jeden Nachmittag und Abend verbringen.

Das Mädchenhaus giltals Vorzeigeprojekt

Jetzt steht das Mädchenhaus vor dem Aus. Alle drei Geldgeber, Stadt, Land und Kirche ziehen sich aus dem Projekt zurück. Der „Verband der evangelischen Kirchengemeinde“ hat seine jährlichen Zuschüsse von 17.500 Euro gestrichen. „Am 31. März müssen wir schließen“, sagt Conscience. Seitdem die Kirche ausgestiegen ist, will auch die Stadt ihre 47.000 Euro pro Jahr nicht mehr zahlen und auch das Landesgeld in Höhe von 41.000 Euro ist seit den Haushaltsverhandlungen unsicher geworden. Hoffnungen setzen die drei Mitarbeiterinnen des Mädchenhauses noch in einen möglichen neuen Träger: Die bisherigen Verhandlungen mit der kirchlichen Initiative „Evangelische Schülerinnenarbeit Hagen“ verliefen positiv.

Sie lernen Dinge, die ihnen zu Hause verwehrt bleiben

Das Gladbecker Mädchenhaus gilt als Vorzeigeprojekt. Es hat geschafft, was vielen Jugendeinrichtungen verwehrt bleibt: Sie haben feste Kontakte zu den türkischen Familien aufbauen können. Eine türkischsprechende Mitarbeiterin macht sogar Hausbesuche, um die oft strengen Väter davon zu überzeugen, ihre Kinder ins Mädchenhaus zu lassen. „Libanesische Familien schicken ihre Mädchen oft nur in Jugendhäuser, wenn Jungen dort keinen Zutritt haben“, sagt Conscience. Im Mädchenhaus lernen sie, selbstbewußt aufzutreten, sich zu verteidigen und mit Computern umzugehen – Dinge, die ihnen in patriarchalischen Familien oft verwehrt bleiben.

Auch Frauen, die zu Hause und in der Familie Gewalt erfahren mussten, gehen oft zuerst ins Mädchenhaus und nicht zur Frauenberatungsstelle in Gladbeck. In das offene und freundliche Café zu kommen, koste die misshandelten Frauen oft weniger Überwindung, sagt Alexandra Conscience. „Wenn wir schließen, bleiben unsere Frauen und Mädchen wieder zu Hause.“

ANNIKA JOERES