Frauenfreie Chefarzt-Zone

Verhinderten Männer-Seilschaften bis in die Politik die erste Chefärztin in Bremerhavens größter Klinik? Eine Frau von der Göttinger Universität geht leer aus. Nun wird Bremerhaven künftig vielleicht keine Göttinger Studenten mehr ausbilden dürfen

von Eva Rhode

Die Speerspitze der weiblichen Avantgarde in der Medizin ist auch die Uniklinik Göttingen nicht. Nur sechs Prozent der ChefärztInnen dort sind weiblich, sagt der Dekan der medizinischen Fakultät, Professor Manfred Droese. Viele Frauen seien den hohen Anforderungen dieser Positionen nicht gewachsen. Die körperlichen und psychischen Erwartungen im Arztberuf ließen sich mit ihrer biologischen Rolle offenbar nur schwer vereinbaren. Dass aber ausgerechnet eine Frau, die in seinem Haus diese hohen Hürden bereits genommen hat, bei der Besetzung einer Chefarzt-Stelle in Bremerhaven nicht einmal auf Platz zwei der Vorschlagsliste kam, bedauert auch er. „Es gibt natürlich die Erwartung, dass unsere Mitarbeiter qualifizierte Bewerber darstellen“, sagt er. Immerhin ist Göttingen als Uniklinik eine Art Mutteruniversität der Bremerhavener Klinik. Doch sei jedes Krankenhaus bei der Auswahl seines Personals „natürlich unabhängig“. Folgen werde eine Ablehnung der Kandidatin aus Göttingen nicht haben, betont er. Das muss er wohl auch.

Denn in der Bremerhavener Klinik Reinkenheide halten sich die Gerüchte, wonach die Uni Göttingen den Vertrag mit Reinkenheide als einem ihrer 28 Lehrkrankenhäuser nicht verlängern will: In Göttingen ausgebildete MedizinstudentInnen würden ihr „praktisches Jahr“ künftig nicht mehr in der Seestadt absolvieren können. Das 800-Betten-Haus würde an Ansehen und Kompetenz verlieren.

Klinikintern werten viele diese Entwicklung als Folge der jüngsten Personalentscheidung in Bremerhaven, die Reinkenheide auch weiter als frauenfreie Chefarzt-Zone erhält: Ein männlicher Bewerber aus Köln soll nun die Nachfolge des zum Jahresende ausgeschiedenen Chef-Anästhesisten Professor Ingo Hensel antreten. Dann ist die Chefarzt-Runde aus 16 Männern wieder komplett. Die derzeitige stellvertretende Direktorin des Zentrums für Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin am Göttinger Uniklinikum ging leer aus. „Weil sie leider nur eine Frau ist“, so Hensel in aller Deutlichkeit. „Wie qualifiziert muss eine Frau denn noch sein?“

„Wir suchen neue Partner“, bestätigt unterdessen der Göttinger Dekan, dass Göttingen die Verträge mit seinen Lehrkrankenhäusern in Bremen und Niedersachsen zwar überprüfe. Entscheidungen erwarte er jedoch erst zum Jahresende. Die Stellenvergabe in Bremerhaven habe damit nichts zu tun, sondern die Neuordnung der Ärzteapprobation. „Da fallen zwei voneinander völlig unabhängige Ereignisse nur zeitlich zusammen“, sagt Droese. Doch schafften natürlich personelle Entscheidungen und persönliche Zusammenarbeit auch Vertrauen.

Dieses Vertrauen sieht der derzeitige Chef der abgelehnten Kandidatin, Professor Dietrich Ketteler, gestört. In einer Beschwerde an den Bremerhavener Oberbürgermeister Jörg Schulz (SPD) und den Sozialdezernenten Wilfried Töpfer (SPD), diagnostiziert Ketteler ein „erheblich gestörtes Klima zwischen Ihrem Akademischen Lehrkrankenhaus und der Mutteruniversität Göttingen“. Im Glauben an ein objektives Verfahren habe er selbst der Bewerberin geraten, ihre Bewerbung aufrechtzuhalten, obwohl sie „von Anfang an sehr unangenehm davon berührt war, dass man sie die Ablehnung als Frau deutlich spüren ließ.“ Das Chefarztbesetzungsverfahren sei aus seiner Sicht unglaubwürdig zum Nachteil der höchst qualifizierten Bewerbung ausgegangen – und nicht der Maßgabe gefolgt, dass ausgeschriebene Positionen bei gleicher Qualifikation mit einer Frau besetzt werden sollten. Es ist bekannt, dass es bereits um die Besetzung der letzten drei Chefarzt-Stellen einen internen Geschlechterkampf gab – in dem jedes Mal die Männer siegten.

Dieses Mal jedoch unterlag die Frau nicht in der Klinik – intern sei sie die Favoritin gewesen, heißt es allenthalben. Doch habe der Krankenhausausschuss in der von einer großen Koalition regierten Seestadt die politische Entscheidung zu Gunsten des Mannes gefällt. Ausgerechnet die Politik, die sich der Formel „bei gleicher Qualifikation eine Frau...“ besonders verpflichtet fühlen sollte. Vorwürfe eines unfairen Verfahren weisen die PolitikerInnen unterdessen zurück. Bei SPD und CDU heißt es unisono, alles sei transparent.