„Alltägliches Verwaltungshandeln“

Eine Mutter und zwei Töchter wurden gestern obdachlos: Weil sie auch auf den letzten Drücker keine bezahlbare Wohnung fand, die ihren missbrauchten Kindern Sicherheit bot, riskierte die Mutter das Äußerste. Sie verlor hoch verschuldet

Bezahlbare Wohnungen sind knapp. Vor allem für Familien mit besonderem Schutzbedürfnis kann das tragische Folgen haben

bremen taz ■ Keine Seite hat sich bewegt. Nicht das Amt für Soziale Dienste und nicht die alleinerziehende Mutter Gudrun K., die ohnehin kaum Spielraum sah. Gestern kam zu ihr der Möbelwagen – auf richterlichen Beschluss. Nach dem Polizeigesetz wird die Frau mit ihren zwei jugendlichen Töchtern die nächsten sechs Monate in einem dreistöckigen Block in Gröpelingen wohnen. „Offiziell gelte ich als obdachlos“, sagt die 44-Jährige.

Blass hatte sie den Möbelpackern und dem jungen Gerichtsvollzieher gestern früh die Tür ihres Reihenhauses geöffnet. Wie immer war sie korrekt geschminkt. Die Sozialhilfeempfängerin hasst es, Fremden ihr Seelenleben zu offenbaren – das in den letzten Monaten mehrfach harte Schläge bekam.

Bis vorgestern hat die Frau vergeblich darum gekämpft, entweder das Haus nicht verlassen zu müssen oder eine angemessene Ersatzwohnung gestellt zu bekommen, in der sie und ihre Töchter das Gefühl von Sicherheit hätten. Ein Gefühl, das vor acht Jahren zerbrach, nachdem ein Nachbar – in einer Großwohnanlage in der Vahr – Frau K.s kleine Töchter missbrauchte.

Damals hatte die Mutter im Kampf gegen die Sozialbehörde Erfolg: Nach Monaten durften sie und ihre damals noch vier minderjährigen Kinder auf Amtskosten nach Gröpelingen ziehen. Weg aus der direkten Nachbarschaft des auf Bewährung verurteilten Sexualstraftäters. „Die Kinder haben damals alles aufgegeben“, sagt die Mutter. Auch deshalb wollte sie aus dem nun zwangsgeräumten Haus „nicht ins letzte Ghetto und auf keinen Fall in hohe Blocks: Immer müssen die Kinder zahlen.“ Eine bestimmte Umgebung könnte die Ängste der 12 und 14 Jahre alten Mädchen aktivieren, die mit Unterbrechungen bis heute in Therapie sind. Sagt die Mutter. Fürchten TherapeutInnen. Sieht das Jugendamt ähnlich. Nur das Verwaltungsgericht urteilte im Sommer, die erlittenen sexuellen Übergriffe lägen so lange zurück, dass darauf keine weiteren Ausnahmen wie ein erhöhter Mietkostenzuschuss zu begründen seien. Er hätte der Familie mehr Spielraum bei der Wohnungssuche gelassen.

Das Anmieten einer neuen Bleibe scheiterte zuletzt kurz vor Heiligabend – an 90 Euro. Ganz in der Nähe der jetzigen Adresse hätte die Wohnung gelegen, „in einem Haus mit zwei anderen alleinerziehenden Müttern“, sagt Gudrun K. wehmütig.

Die Wohnung, in die die fünf Möbelpacker dagegen gestern ihre Habe trugen, ist nur ein Übergang. Sie löst nicht das Problem, das die Mutter hat: Eine bezahlbare Wohnung zu finden, die der Familie das Gefühl von Sicherheit böte – dieses unbezahlbare, subjektive Gefühl, das sich seit den Vorfällen vor acht Jahren kaum mehr einstellt.

„Viele denken, ich schiebe meine Töchter vor, um selbst schön zu wohnen“, sagt Gudrun K. offen. Auch weiß sie, dass sie schon lange hätte ausziehen müssen. Das Haus ist viel zu groß und zu teuer, seit vor zwei Jahren die beiden ältesten Kinder auszogen. „Aber ich habe nichts gefunden.“ X-Wohnungen in verhassten Wohnblocks hat sie besichtigt, sich als alleinerziehende Sozialhilfeempfängerin von Vermietern skeptisch mustern lassen und sogar Wohnungen über privaten Bordellen inspiziert. Seit Monaten schickt sie ihre Prüfberichte quasi als Beleg für ihre Suche ans Amt. Das seinerseits machte mal Zusagen über 390, mal über 420 Euro Kaltmiete-Übernahme. Nie über Maklerprovision, manchmal über Deponat. Dabei wechselten unzählige Male die SachbearbeiterInnen, die die Briefe an Frau K. unterzeichneten: Sie müsse sich um eine Wohnung im Regelsatz bemühen – den das Amt seit elf Monaten überweist. Zwangsläufig folgten Mietrückstand – und nun die Räumung. Eine Klage blieb erfolglos. Frau K. steht vorm Offenbarungseid – was die Wohnungssuche zuletzt sehr erschwerte.

Seit heute wohnt die Familie in einem Block am Rande einer Reihenhaussiedlung. Sie hat ein Dach über dem Kopf, aber keines ihrer Probleme gelöst, zu denen nun auch noch die Kosten für den Umzug kommen.

Frau K. fühlt sich abgemeiert – aber nicht schuldig. Für ihre Töchter hat sie versucht, das Schlimmste zu verhindern. Hilfe habe sie wenig bekommen. Auch kein Gesprächsangebot vom Sozialzentrum – etwa darüber, wie die Kuh vom Eis zu ziehen sei. Dass es dort einen „Fallmanager“ für sie geben soll, davon weiß sie nichts.

„So jemand hätte meiner Mandantin vielleicht helfen können“, sagt Anwalt Matthias Westerholt. Er erkenne keinen Unterschied zwischen früherem Behördenhandeln und heutigem. „Die verschicken vor allem Briefe.“

Sozialzentrums-Chef Erwin Böhm sieht das anders. „Wir haben getan, was möglich war.“ Niemand dürfe „alltägliches Verwaltungshandeln als persönlichen Angriff werten.“ Die Familie habe wegen ihrer besonderen Umstände vergleichsweise lange Umzugsfristen bekommen. Die derzeit knappe bremische Finanzlage habe mit diesem Fall nichts zu tun. Eva Rhode