Wagnis mit Unbekannten

„Man muss den Leuten auf den Nerv gehen“, sagt Friederike Plafki, eine junge Choreografin. Selbst mit einem Preis für das beste Tanzsolo bleibt der Einstieg schwer. Ein Forum bieten die „Tanztage“

Als Physiotherapeutin Geld verdienen,als Choreografin berühmt werden

von JANA SITTNICK

Der Raum ist kahl: Weiß getünchte Wände, schwarzer Gummibelag auf dem Boden, ein Kühlschrank. Zwei junge Frauen in Trainingshosen machen sich warm. An der Seite steht eine schmale niedrige Bank, die kippelt, wenn man sich darauf setzt. Von hier aus blickt man durch das Fenster, über rote Backsteinbauten hinweg auf eine Kirchturmspitze, die in den blassblauen Winterhimmel ragt.

Berlin ist sehr niedlich in der Sophienstraße in Mitte. Die wie in Trance durch die Gasse wandelnden Touristen bezeugen dies immer wieder auf’s Neue. Merkwürdig angeranzt erscheinen dagegen die Sophiensæle, zurückgesetzt in einem Backsteinhof inmitten der Niedlichkeit. Hier finden derzeit die dreizehnten „Tanztage“ statt. Hier, im kargen „Hochzeitssaal“ im dritten Stock, proben Friederike Plafki und Tabea Tettenborn. Gemeinsam mit anderen Schülern und Absolventen der staatlichen Schauspielschule „Ernst Busch“ und der privaten Tanzakademie „balance 1“ präsentieren sie am „Wochenende der Jungen Choreografen“ ihre Arbeiten.

Seit Beginn der „Tanztage“ vor acht Jahren liegt der Fokus des Festivals auf dem choreografischen Nachwuchs. Öffentlichkeit ist es auch, was Einsteiger in der „freien Tanzszene“ am dringendsten brauchen. Denn die Konkurrenz ist groß, und wenn man nicht in einer festen Kompanie tanzt und kein Interesse hat am Musical-Mainstream, dann ist es schwer, als Choreograf und Tänzer überhaupt Fuß zu fassen.

„Man muss gesehen werden“, sagt Friedrike Plafki, „und sich immer wieder in Erinnerung bringen. Man muss den Leuten auf den Nerv gehen.“ Manchmal habe sie Panik, nicht am Ball zu bleiben. Obwohl sie bei der „euroscene Leipzig“ vor zwei Jahren den Preis für das beste deutsche Tanzsolo gewonnen hat, ist sie in Berliner Kreisen nicht gerade mit Kusshand empfangen worden. Kooperation zwischen Anfängern und etablierten Choreografen gäbe es ihrer Erfahrung nach nur sehr bedingt. Die Bereitschaft, eigenes Wissen preiszugeben, haben nur sehr wenige.

Das meiste geschieht über Kontakte. „Es gibt so eine Art Branchenbuch der Berliner Choreografen“, erzählt die Tänzerin, „da hab ich mir die Leute rausgesucht, direkt angeschrieben, und zu meinen Showings in der Tanzfabrik eingeladen.“ Einige sind auch gekommen. Die 24-Jährige ist ehrgeizig. Sie war auf der Sportschule, Schwimmerin. Hat jeden Tag trainiert. Später kam der zeitgenössische Tanz dazu, in Leipzig und an der Palucca-Schule in Dresden, und dann noch eine Physiotherapie-Ausbildung. Friederike Plafki wollte alles gleichzeitig machen. „Dann hab ich eines Tages kapiert, dass für Leistungssportler mit Ende zwanzig die Karriere vorbei ist, und da hab ich mit dem Schwimmen aufgehört.“ Die Medizinfachschule hat sie abgeschlossen, in den verschiedenen Tanztechniken lässt sie sich an der „balance 1“ weiter ausbilden. Als Physiotherapeutin verdient sie ihren Lebensunterhalt. Als Choreografin will sie berühmt werden.

„Kühlkuhgenese“ heißt ihr erstes Solo für die Tanztage. Es thematisiert die Entstehung von Bewegung und von Leben. Der Kühlschrank wird darin eine bedeutsame Rolle spielen.

Tabea Tettenborn ist zum zweiten Mal bei den „Jungen Choreografen“ dabei. In ihrem Solo „back to the roots“ geht es um das große Ganze, um die Elemente, den Ursprung, um Kampf und Harmonie. Ein Gedicht, von einem Unbekannten auf eine Postkarte geschrieben, hat sie dazu inspiriert. „Man kann die Arbeit an einem Stück nicht planen“, sagt Tettenborn, „die Ideen und Bilder kommen, oder sie kommen nicht, da muss man auch mal warten können.“ In drei Monaten hat Tabea Tettenborn ihr Stück bühnentauglich gemacht. Tanzen ist für die 25-Jährige etwas „ganz Normales“, eine alltägliche Bewegungsform, die sie gern von der Säule der Erhabenheit herunterholt. „Tanzen ist wie Laufen, das müssen die Leute nur verstehen.“ Tabea hat die dreijährige Ausbildung an der „balance 1“ vor zwei Jahren abgeschlossen. Sie geht zu Tanzwettbewerben und zu den „Auditions“, dem öffentlichen Vortanzen, bei dem Choreografen ihre Tänzer auswählen. Tettenborn hatte Glück: Sie arbeitete mit dem Berliner Choregrafen Christoph Winkler für die Tanzfabrik zusammen, und demnächst wird sie in der Neufassung seines Stückes „Fatal attractions“ mit dabei sein.

Doch auch Tabea Tettenborn jobbt im Bioladen und gibt Tanzkurse an der Volkshochschule. Tabea findet das nicht schlimm. Sie ist nach dem eigenen Gefühl noch auf dem Weg zur Profitänzerin. „Man muss doch als Anfänger erst mal hineinkommen, das ist ein Prozess“, meint sie, „und ich lerne immer noch so viel.“ Sie sei froh, überhaupt das machen zu können, was sie erfüllt: tanzen. Reich und berühmt werden – das kommt später. Vielleicht.

Wochenende der Jungen Choreographen, 8.–10., 20 Uhr, Hochzeitssaal in den Sophiensælen