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witz aus der wüste von FLORIAN HARMS

„Also: Zwei Elefanten sehen einen nackten Mann …“, platzte Omar zwischen zwei Bissen heraus. Aus seinen Mundwinkeln troff Fett. Vor uns thronte eine gewaltige Schale, randvoll mit Schaffleisch. Mir war allerdings der Appetit vergangen. Das lag an der Umgebung. Nicht dass das libysch-tunesische Grenzgebiet ein unwirtlicher Ort wäre, im Gegenteil: Nirgendwo sonst wird man von so vielen Menschen umringt, die einem ihr Geld aufdrängen. Alles, was sie für ein Bündel Scheine mit Gaddafi-Bildchen haben wollen, sind ein paar Euro. Richtig nette Leute. Also hatte Omar entschieden, hier zu rasten.

Zunächst hatte ich nichts dagegen, denn hinter uns lag ein langer Tag. Morgens hatten wir im libyschen Nationalmuseum den mintgrünen VW-Käfer bestaunt, mit dem Gaddafi weiland 1969 über die Wüstendörfer geheizt war, um die Revolution anzuheizen. Ehrfurchtsvoll studierten wir die Tafel des „Büros für moralische Anleitung“, auf der gegen die „arroganten Mercedes- Fahrer der US-Unterdrücker“ gezetert wurde, denen Gaddafi in seinem VW selbstverständlich stets davongeheizt war. Gerade wollte Omar mir den „lustigsten Witz aller Zeiten“ erzählen – da hieß es plötzlich strammstehen, um einen Herrn mit dem schönen Titel „libyscher Interpol-Chef“ zu grüßen, der ebenfalls dem mintgrünen Käfer seine Aufwartung machte. Dann fing Omar wieder an: „Zwei Elefanten sehen einen nackten Mann …“

Omar war in den Siebzigern bei der deutschen Marine gewesen, kann auf Kommando 14 Marianne-Rosenberg-Hits trällern und hat eine Schwäche für Witze derselben Qualität. Deshalb zog ich es vor, im „Grünen Buch“ zu schmökern, der von Gaddafi ersonnenen Theorie zur Lösung sämtlicher Weltprobleme. Darin findet sich mancher hübsche Satz, so auf Seite 93: „Die Frau ist weiblichen Geschlechts, der Mann männlichen.“

In der Annahme, Omar könne darüber seinen Superwitz endlich vergessen, war ich mit ihm zur Grenze gefahren. Nun saßen wir dort zwischen einem maximal aufgedrehten Fernseher und fünf maximal beleibten Herren in einem Imbiss mit angeschlossener Schlachterei. Direkt vor uns hingen zehn Schafe mit aufgeschnittener Kehle zum Ausbluten an Haken. Ihre Kollegen lagen auf dem Grill. „Schmeckt dir das Grillfleisch? Es gibt noch mehr!“, rief Omar und zermalmte ein Rippchen: Knurps-knurps. „He, Murad, noch mal ein Kilo für Tisch sieben!“ Fleisch wird hier im Kilo geordert, nur europäische Weicheier kommen auf die Idee, grammweise zu bestellen. Die Schaschlik-Platten der Balkanvölker sind Pausensnacks gegen die Menüs im libysch-tunesischen Grenzgebiet – Vor-, Haupt- und Nachspeise: Fleisch. Die Distanz zwischen Lieferant (Vierbeiner), Schlachtmesser (50 Zentimeter) und Verbraucher (Zweibeiner) beträgt drei Meter. In jedem der 50 Lokale werden täglich 25 Schafe weggehauen: zack-zack, knurps-knurps.

Ich überlegte gerade, ob mir schlecht werden sollte, da platzte Omar heraus: „Jetzt aber endlich: Zwei Elefanten sehen einen nackten Mann. Sie schauen an ihm runter und blicken sich zweifelnd an: Wie zum Teufel kriegt der sein Essen in den Mund?“ – „Harhar!“, stöhnte ich höflich. „Knurps-knurps“, machte es in Omars Rachen.

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