Nippons neuer Notenbankchef

Die Ernennung Toshihiko Fukuis zeigt, dass es der japanischen Regierung in der Geldpolitik um eine enge Zusammenarbeit und viel Willen zum Konsens geht. Ein klares Inflationsziel ist da nicht erwünscht. Ausländische Experten sind enttäuscht

aus Tokio ANDRÉ KUNZ

Die Erwartungen an einen neuen Notenbankchef in Japan sind hoch: Seit 1995 fallen die Preise ungebrochen, der Leitzins steht seit drei Jahren mit einer kurzen Unterbrechung theoretisch auf null, die Staatsverschuldung beträgt bald 140 Prozent des jährlichen Bruttoinlandprodukts (BIP), und Ökonomen befürchten, dass die Wirtschaft kurz vor der vierten Rezession in einem Jahrzehnt steht. Mit Toshihiko Fukui hat Ministerpräsident Junichiro Koizumi nun einen Mann gewählt, der schon lange eine enge Koordination der Notenbankpolitik mit der Regierung angemahnt hatte, ansonsten aber für den Status quo steht.

„Fukui gehört zur konservativen Mehrheit in der Notenbank (BOJ), die sich seit je gegen unkonventionelle Methoden gewehrt hat“, erklärt Peter Morgan. Der bei HSBC Securities in Tokio arbeitende Ökonom verlangt wie viele ausländische Volkswirte schon seit Jahren ein klares Inflationsziel von der japanischen Notenbank und ist von der Wahl Fukuis enttäuscht.

Aus japanischer Sicht ist sie aber verständlich. Der BOJ-Vorstand entscheidet im Konsensverfahren und braucht eine Integrationsfigur an der Spitze. Eine eigensinnige Madonna, die neue Wege in der Geldpolitik ausprobieren will, würde den Teamgeist im Gremium zerstören.

Der 67-jährige Toshihiko Fukui war schon Vizegouverneur der BOJ und steht für eine eher vorsichtige Geldpolitik. In der Vergangenheit hat er sich gegen die Einführung eines Inflationszieles gewandt. Grund ist, dass er die laufende Deflation als ein strukturelles Problem betrachtet, dem nicht allein mit der Geldpolitik beizukommen sei. Fukui gehört damit in dasselbe Lager wie sein Vorgänger Masaru Hayami. Sie werden in Japan als „Strukturalisten“ bezeichnet. Ihnen stehen die Verfechter einer „Reflation“ gegenüber, die um den früheren BOJ-Mitarbeiter Nobuyuki Nakahara geschart sind. Nakahara galt bis zuletzt als stärkster Herausforderer im Rennen um den Notenbankvorsitz.

Fukui glaubt, dass der derzeit stattfindende Preisverfall nur zur schmerzlichen, aber notwendigen Anpassung der japanischen Wirtschaft an das globale Preisniveau gehört. Demnach hätten massiv übertriebene Investitionen der Unternehmen zur Zeit der Boomjahre vor gut einem Jahrzehnt einen riesigen Graben zwischen Überangebot und ungenügender Nachfrage aufgerissen. Dies werde noch verschlimmert durch ein überschuldetes Bankensystem, das unfähig sei, reichlich vorhandenes Basisgeld in neue Kredite für die Unternehmen umzuwandeln. Gemäß den Anhängern der Strukturreform müsste zunächst das Bankensystem saniert, und total überschuldete Firmen, so genannten Zombieunternehmen, die ihre Schulden nie mehr zurückzahlen können, müssten liquidiert werden. Das würde die Banken endlich wieder in die Lage versetzen, Kredite für neue Unternehmen zu vergeben. Gleichzeitig könnten die weiterhin bestehenden Überkapazitäten in der Industrie abgebaut werden. Und nicht zuletzt könnte auch der unfaire Preiskampf, der von diesen künstlich am Leben erhaltenen Firmen ausgeht, gestoppt werden.

Der Markt reagierte überraschend gelassen auf die Ernennung Fukuis, obwohl sich viele Anleger sicherlich einen Notenbankchef gewünscht hätten, der Rezession und Deflation aggressiver bekämpft. Da gleichzeitig mit ihm aber der frühere stellvertretende Finanzminister Toshiro Muto und der Universitätsprofessor Kazumasa Iwata zu stellvertretenden Vorsitzenden der BOJ ernannt wurden, ist dafür gesorgt, dass es ein Gleichgewicht zwischen Strukturalisten und Anhängern etwas unkonventionellerer Methoden gibt.