Das Potenzial der Volksmusik

Ländler-Punk, Gstanzl-Hiphop, Alpen-Rap und Volksmusik-Dub, Kalinka-Musik? Das oberösterreichische Duo Attwenger spielt mit trockenem Witz und spezifischer Widerborstigkeit in der Kulturbrauerei

Freitag Abend spielten Attwenger im Maschinenhaus ihr 47. Konzert des Jahres. Draußen auf dem poppig illuminierten Hof der Kulturbrauerei standen viele junge Leute um Bier-, Grill- und Cocktailstände herum (trotz Herbst), machten Karaoke auf dem Oberdeck des lautstarken „Singstar“-Promobusses und stellten sich in Schlangen vor dem Soda Club und der „schönsten Billardlounge der Stadt“ auf.

Quetschn und Zerrwanst

Drinnen warteten weniger und durchschnittlich ältere Leute auf Markus Binder und Hans-Peter Falkner. Die sind seit 1990 fast durchgängig Attwenger und tingeln durch die Weltgeschichte (sogar auf Bali waren sie schon dieses Jahr), was in Sachen Ausdauer sehr bewundernswert und in Sachen Aufwand sehr nahe liegend ist.

Ein Auftritt von Attwenger braucht nicht viel. Mitbringen tun sie eine Ziehharmonika, einen Sampler, ein sehr kleines Schlagzeug und einen Minidiscplayer. Benötigen tun sie zwei Tische, vier Handtücher, Mineralwasser, kaltes Flaschenbier – („kein Heineken, Beck’s usw.“) wie auf ihrer Homepage steht – und einen „ausnahmslos“ unbestuhlten Raum. Nicht dass ein Attwenger-Publikum zu zerstörerischen Ausfällen neigen würde, aber ein wenig Bewegungsfreiheit wird schon benötigt.

Die Kunst der beiden Herren aus dem Oberösterreichischen lässt sich aber auch genießen, ohne die Knie bis in Bauchnabelhöhe zu heben. Auch weil man so keine der grandiosen Zwischenansagen verpasst und die herzerhebende Meisterlichkeitsmischung aus Instrumentenbeherrschung, trockenem Witz und spezifischer Widerborstigkeit voll mitbekommt. Attwenger sind ohne Frage „a great deal“, wie John Peel seinerzeit konstatierte, aber sicher keine Dienstleister am Publikum; es ist schon vorgekommen, dass Falkner seine Ziehharmonika – in ihren Herkunftsgebieten auch Steirische genannt – mitten im Auftritt einfach niederlegte, weil’s ihm einfach nicht mehr taugte, das Ganze.

Seit fast 20 Jahren jetzt müht man sich in Bezug auf Attwenger-Musik mit „Ländler-Punk“, „Gstanzl-Hiphop“, „Alpen-Rap“, „Volksmusik-Dub“ und „Kalinka-Musik“ um begriffliche Annäherung. Binder spielt sein Schlagzeug zwischen Polka und Breakbeats und bläst virtuos die Maultrommel, Falkner orgelt seine Quetschn in unterschiedlichen Graden der Verzerrtheit, was mal nach Wirtshaus, Balkan, House-Piano oder Drone-Erzeuger klingt. Sprechsingen tun beide, in diesem nöligen Oberösterreicher Slang, stoisch zwischen Englisch-Verhohnepipelung und Dada-Ritornell: „Ka Klakariada der de Hosn net glei vollhot wann iagandwos passiert des wos er söiber net verstöht“ (Stichwort: Kleinkarierte)-

Ultraautonome Ignoranz

Über die anarchischen, widerständigen Potenziale von Volksmusik ist im Zusammenhang mit Attwenger schon genug räsoniert worden, immer so à la Fest, Rausch, Antikommerz, kleine Leute aller Länder vereinigt. An Attwenger wurde der kategoriale Unterschied zwischen Volksmusik und Volkstümlichkeit festgemacht. Man muss aber Attwenger-Subversivität nicht notwendig mit diesem ganzen Volksgezeugsel in Verbindung bringen. Attwenger geht’s nicht primär um schulterklopfende Gemeinschaftsstiftung, sondern um eine Art ultraautonomer Ignoranz. Wo da der gute Kampf gegen das peinlich Bedeutungsaufgeblähte aufhört und eine eher fragwürdige Antiintellektualität anfängt, ist manchmal schwer zu sagen. „Versteht ihr uns eigentlich?“, fragt zum Beispiel Falkner. „Ja, des is net überall der Fall. Aber Berlin ist so …“ Jemand aus dem Publikum ruft: „Multikulturell!“ Falkner rümpft die Nase und antwortet: „I wollt eigentlich nur song: super. ‚Multikulturell‘ ist mir zu sehr an Zungenbrecher.“

KIRSTEN RIESSELMANN