Zwei Äxte im Wald der Zeichen

MTV mausert sich immer mehr zur Abspielstation schlauer Unterhaltungsformate – und schickt die Zeichentrickfiguren Ace Anderson und Dick Kowalski als „Funky Cops“ mitten hinein in das verwirrende Zeichensystem der Popkultur (23.00 Uhr)

von CLEMENS NIEDENTHAL

Die Straßen von San Francisco sind ein Wald voller Zeichen. Und Ace Anderson und Dick Kowalski sind die sprichwörtliche Axt im Walde. Zwei coole Cops mit gülden glitzernden Reflexionen in den Gläsern ihrer Sonnenbrillen. Es sind die Spiegelbilder einer Epoche, in der so ziemlich alles Pop werden sollte. Und es sind zumeist die Spiegelbilder der Popkultur selbst. Denn das Sonnensystem von Ace und Dick rotiert um eine Diskokugel. Jene Diskokugel, unter der John Travolta tanzte. Oder jene Diskokugel, die im legendären Live-Club Filmore East den kalifornischen Sommer der Liebe illuminierte.

Mit den „Funky Cops“ hat der Musiksender MTV ein fiktionales Fernsehformat geboren, das Geschichten und Geschichte nurmehr als medienreferenziellen Zitatenschatz kennt. Ein Stück Pop(ulär)kultur als Wiedergänger von Popkultur gewissermaßen. Und das alles in Form einer Zeichentrickserie, deren ästhetische Oberflächen irgendwo zwischen dem Computerspiel „Driver“, Graffitti, „Futurama“ und japanischem Manga changieren, die also selbst bereits Zitate sind. Ziemlich schöne und detailverliebt gezeichnete oder animierte Zitate zudem.

Bei den „Funky Cops“ wird Geschichte eben nicht mehr gemacht, sie wird nur noch ausgeschwitzt. Sei es hinter dem Lenkrad eines potenten Pontiac Firebird. Oder im aufgeknöpften Polyesterhemd auf der Tanzfläche einer glamourösen Diskothek. Hedonistische Posen hier und dort. John Shaft, Steve McQueen oder Isaac Hayes als omnipräsente Style-Ikonen. „Super, eine Verfolgungsjagd“, darf Dick Kowalski etwa sagen. Und scheint darüber genauso wenig überrascht wie wir Zuschauer vor der Flimmerkiste. Denn Verfolgungsjagden gehören zu den „Funky Cops“ wie der catchy Kehrreim zu einem guten Popsong. Und immer sind es eben jene Rasereien aus „Bullit“, „Vanishing Point“ oder aus den Blaxploitation-Krimis des afroamerikanischen Kinos, die die „Funky Cops“ da nachspielen. Einschließlich der finalen Karambolage auf der Golden Gate Bridge. Auch so ein Symbol, an dem die Fernsehkameras von jeher Schlange stehen.

Zunächst einmal bis Juni dürfen die beiden Cartoon-Cops jeweils dienstags (Wiederholungen mittwochs und samstags) über Straßenkuppen springen und um Kurven driften. Die sechs bisher ausgestrahlten Folgen haben schon einmal das Terrain markiert, auf dem Ace und Dick in den halbstündigen Episoden herumstolpern – popkulturelle Kollektivmythen sind es zumeist. Die Legende des vermeintlich untoten Elvis Aaron Presley zum Beispiel, der bei den „Funky Cops“ als Aaron King den eigenen Tod fingiert hat, um endlich ungestört ganze Familienpackungen Speiseeis verdrücken zu können. Oder die Geschichte von Ziggy Hop, einer ziemlich konsequenten Synthese aus Iggy Pop und David „Ziggy Stardust“ Bowie.

Konsequent ist indes auch die Erkennungsmelodie der „Funky Cops“: der Disco-Klassiker „Lost in Music“ von Sister Sledge, einer der großartigsten About-Pop-Songs überhaupt. Auch Ace Anderson und Dick Kowalski sind schließlich „lost in music“ – verloren in einem Zeichensystem namens Popkultur.