berliner szenen Nationbuilding

Nie wieder Ich-AG

Diesmal ist G. endgültig größenwahnsinnig geworden. Stolz reicht er mir seine Karte: „Create Your Own Country. Nationbuilding Inc.“ Das Büro allerdings ist echt, mit Blick auf Reichstag und Spree, Glas und gebürsteter Stahl und mittendrin G.: „Tja, vor einem halben Jahr noch schwer vermittelbar, so saßen wir beim Arbeitsamt: Kultur- und Sozialwissenschaftler jeder Couleur und nun: modernstes Nationbuilding als Komplettangebot. Grenzen ziehen, Briefmarken zeichnen, Verfassungen entwerfen – das ist Standard. Wir können mehr, wir errichten dir ruckzuck einen Staat inklusive Nationalgeschichte und -tugenden. Vorzeit und echte archäologische Funde kommen etwas teuerer.“

„Mit eigener Sprache?“ – „Klar, Kommunikation ist doch sowieso Glücksache: einige ungewöhnliche Wörter, x zu u, Betonung verschieben – fertig ist die neue Muttersprache.“ – „Und das lohnt sich bei all der europäischen Einigung?“ – „Es brummt! Wir haben Energieunternehmen, die ihre Pipelines staatsrechtlich absichern wollen, aber auch mehrere Sportvereine aus dem Südoldenburgischen, die gern zu den Olympischen Spielen möchten. Das trifft sich mit den lokalen Schweine- und Hühnerzüchtern, die brauchen weniger Umweltauflagen. Im Moment fahnden wir nach einem Fürstenhaus und relaunchen das örtliche Platt.“

So viele Fragen bleiben, doch G. geleitet mich zur Tür: „Ein andermal, gleich kommen die Strategen des Kanzleramtes. Die sehen großartige Perspektiven für neue Reformen. Von der Ich-AG zum autonomen Staatswesen. Statt Arbeitslosengeld und Sozialhilfe gibt es dann ein paar Jahre Entwicklungshilfe, ansonsten ist die UNO zuständig. Bevor sie verhungern, wird der Bund natürlich Reis und Milchpulver schicken.“ CARSTEN WÜRMANN