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: Nicht ohne meinen Kontrolleur: Warum der Schwarzfahrertag nur bedingt lebensnah ist

Das neue Jahr fängt ja wunderbar an: Trotz Erderwärmung und bevorstehender Klimakatastrophe hat es kurz geschneit; das BKA plant endlich seinen nach Umzug Berlin; die Idee einer Eliteuniversität wird kontrovers diskutiert, und Studenten trollen sich nicht nur deshalb weiterhin aufgeregt durch die Stadt. Und das Schönste ist: Am Sonnabend lädt Professor Peter Grottian alle, die nichts Besseres zu tun haben, zu einer ausgiebigen Schwarzfahrt durch die Stadt, und zwar ganz gefahrlos, denn die anfallenden Aufwendungen will Grottian aus eigener Tasche bezahlen.

Wie man hört, hat eine ähnliche Aktion, die er 1995 durchgeführt hat, den guten Onkel der Berliner Politologie rund 400 Mark gekostet. Da das erhöhte Beförderungsentgelt im letzten Jahrhundert mit rund 60 Mark zu Buche schlug, lässt sich daraus schließen, dass den Kontrolleuren damals exakt 6,67 politisch motivierte Schwarzfahrer ins Netz gingen. Es war also zweifelsohne eine starke Aktion von unerhörter Außenwirkung, denn 6,67 Protestierer, die beim Protestieren als Protestierer erkannt werden, sind nicht nichts, es sind 6, 67 Protestierer.

Dieses Mal will Grottian aber mehr. Rund 1.000 Teilnehmer wünscht er sich für seine Aktion – und damit sich feststellen lässt, ob wirklich 1.000 Leute daran teilgenommen haben, müssten dann auch 1.000 schwarzfahrende Schwarzfahrer erwischt werden. Nach Adam Riese könnte auf Grottian also im Idealfall eine Rechnung von etwa 40.000 Euro zukommen. Das zeigt einerseits, dass Grottian ein wirklich sehr großzügiger Mensch ist, das zeigt dem Berliner Senat andererseits aber auch, dass sich noch ganz andere Posten einsparen ließen.

Völlig unbeachtet blieb bislang, dass die Prostestaktion zur Abschaffung der Sozialtickets, die sich gegen den Senat und die BVG richtet, ohne die Unterstützung der BVG gar nicht gelingen kann. Denn schickte die BVG ihre Kontrolleure nicht ins Rennen, würde niemand registieren, dass es überhaupt politisch motivierte Schwarzfahrerei gibt. Es ist in diesem Zusammenhang eigentlich nur zu begrüßen, dass die BVG verstärktes Kontrollieren verspricht. Unverständlich bleibt hingegen, dass man sie von Seiten der politischen Schwarzfahrer genau dafür kritisiert. Das beweist, dass die politischen Schwarzfahrer, das politische Moment ihrer eigenen Aktion offenbar gar nicht verstehen.

Denn wollten sie sich wirklich erwischen lassen, würden sie durch ihr Erwischtwerden die aus Armut schwarzfahrenden Mitbürger unter Umständen vor dem Erwischtwerden bewahren. Die Kontrolleure arbeiten bekanntlich auf der Grundlage von Quoten, und wenn diese nach Sonnabend erfüllt wären, hätten alle Schwarzfahrer für die nachsten Wochen ihre Ruhe.

Schwer zu verstehen ist überdies, dass die Aktion ausgerechnet am Sonnabend stattfinden soll. Die Armen der Stadt, so hieß es, könnten sich durch die Abschaffung des Sozialtickets den Weg zum Arzt, zum Amt und zum Bewerbungsgespräch nicht mehr leisten, weshalb es mindestens kopflos ist, den kostenfreien Schwarzfahrtag ausgerechnet dann anzuberaumen, wenn Ärzte, Ämter und potentielle Arbeitgeber traditionell ihre Türen verschlossen halten. Da Grottian seine Mitstreiter aber auch noch angewiesen hat, die Kontrolleure im Falle des Erwischtwerdens auch noch in Diskussionen über soziale Gerechtigkeit zu verwickeln, scheint Lebensnähe ohnehin nicht das Prinzip zu sein, das hinter der Aktion steht. Denn Kontrolleure, so ekelhaft sie einem im Moment der Kontrolle auch erscheinen mögen, stehen auf der sozialen Leiter auch nicht so besonders weit oben, jedenfalls weit unten genug, um sich nicht von einem FU-Professoren mit Prachtgehalt über das Phänomen der Armut aufklären zu lassen. HARALD PETERS