Zwischen fetten Prämien und Arbeitsamt

Die New Yorker Börse zeigt, wie Kapitalismus funktioniert: Wall-Street-Manager genehmigen sich insgesamt 11 Milliarden Dollar an Sonderprämien. Besonders gut verdient, wer ordentlich Kosten spart – zum Beispiel durch Massenentlassungen

AUS NEW YORK HEIKE WIPPERFÜRTH

Im letzten Jahr jagte ein Skandal den anderen, doch an der Wall Street gibt es wieder atemberaubende Sonderprämien. Fast 11 Milliarden Dollar sollen in den nächsten Wochen als Bonuszahlungen an die Banker und Broker im Finanzviertel von Manhattan verteilt werden – das ist ein Viertelmehr als im Vorjahr. Einige Topmanager können sich Sonderzahlungen von 10 Millionen Dollar oder mehr in die Tasche stecken. Dazu sollen auch die Leiter großer Banken wie Citigroup, Merrill Lynch und Morgan Stanley gehören, die in die Skandale verwickelt waren.

Typisch. An der Wall Street zählt nur, was unter dem Strich übrig bleibt. Und das sah im letzten Jahr Jahr zum ersten Mal seit der Börsenflaute wieder besser aus. Der Gesamtgewinn auf der Finanzmeile soll sich 2003 im Vergleich zum Vorjahr um 116 Prozent auf 15 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt haben.

Die meisten Skandale haben die Banken bereits durch Vergleichsverfahren mit den Aufsichtsbehörden vom Tisch gefegt. Vor zwei Monaten bezahlte Morgan Stanley eine Strafe in der Höhe von 50 Millionen Dollar, weil die Investmentbank ihren Kleinanlegern verschwiegen hatte, dass ihre Makler für den Verkauf bestimmter Investmentfonds höhere Provisionen erhielten. So haben Anleger das Geld, das sie für die Altersversorgung brauchen, in die falschen Aktienfonds angelegt.

Für den Schaden, den ihre Firmen angerichtet haben, müssen die Topmanager in den meisten Fällen nicht persönlich aufkommen. Als die Citigroup im April eine Höchststrafe von 400 Millionen Dollar wegen Interessenkonflikten von Analysten und Täuschung von Anlegern bezahlen musste, kam das Geld aus den Taschen der Aktionäre und Versicherungen. Sandy Weill, dem Leiter der Citigroup, der Ende 2003 von seinem Posten zurücktrat, wurde zwar der Umgang mit Mitgliedern seiner Analystenabteilung verboten, doch er brauchte keinen Cent zu bezahlen.

Freie Hand haben die Wall-Street-Manager auch bei der Festsetzung der Bonuszahlungen, die bis zu 90 Prozent des Gesamtgehalts ausmachen. Gewöhnlich werden die Sonderzahlungen, die auf den Gewinnen der Firmen beruhen, Ende des Jahres hinter geschlossenen Türen ausgehandelt. Wenn die Anleger der Firmen davon erfahren, ist es für einen Protest viel zu spät. Auch Stanley O’Neal, der Leiter von Merrill Lynch, kann sich eine dicke Prämie bezahlen, obwohl die Bank von Skandalen nicht verschont blieb. Voriges Jahr musste Merrill Lynch eine Strafe von 200 Millionen Dollar wegen geschönter Aktienanalysen und Täuschung von Anlegern bezahlen. Außerdem hat O’Neal in den letzten drei Jahren 20.000 Mitarbeiter rausgeschmissen, um Kosten zu sparen. Es half, das Ergebnis der Firma zu verbessern: In den ersten neun Monaten des letzten Jahres zeigte Merrill einen Gewinn von 2,7 Milliarden Dollar – das sind 40 Prozent mehr als zur gleichen Zeit im Vorjahr. Zur Belohnung darf sich O’Neal laut Schätzung von Experten einen Bonus in der Höhe von 15 Millionen Dollar mit nach Hause nehmen.

Das beste Beispiel für die laxe Aufsicht über die Wall-Street-Firmen ist Richard Grasso, der ehemalige Leiter der New Yorker Börse. Im Herbst musste er wegen seiner Gier das Amt räumen. Sein Fehler: Er wollte so viel verdienen wie die Wall-Street-Manager, die er beaufsichtigen sollte. Die Börse erwägt zurzeit, Grasso zu verklagen, falls er nicht einen Großteil der 190 Millionen Dollar zurückgibt, die er sich in die Tasche gesteckt hat.

Ändern wird sich auch künftig nicht viel. Während die Wall-Street-Manager in teuren Restaurants speisen und dicke Autos kaufen, bahnt sich der nächste Skandal an. Seit einigen Tagen untersuchen die Aufsichtsbehörden, ob Banken wie Citigroup und Bank of America dem insolventen italienischen Lebensmittelkonzern Parmalat beim Betrug geholfen haben. Die Banken behaupten, unschuldig zu sein.