Heuern und Feuern im Osten

Sachsen startet Bundesratsinitiative: Die neuen Länder sollen zur Sonderwirtschaftszone werden – als Flexibilisierungsmodell für ganz Deutschland. Geplant ist vor allem der weitgehende Abbau von Tarifautonomie und Arbeitnehmerrechten

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

Getarnt als „Entbürokratisierung“, so Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD), oder als beliebig interpretierbare „Sonderwirtschaftszone Ost“ kommt sie daher: die ostdeutsche Modellregion für weitgehende Eingriffe in Arbeitnehmerrechte. Gestern hat Sachsens Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU) seinen im Januar vorgestellten 6-Punkte-Plan in die Form einer Bundesratsinitiative gegossen. Zuvor hatten sich die drei CDU-geführten mitteldeutschen Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als Modellregion angeboten. Ganz offen erklärten die Wirtschaftsminister Gillo, Horst Rehberger (FDP) und Franz Schuster (CDU), worum es ihnen dabei geht: Deregulierung total als Modell für ganz Deutschland.

Die vom sächsischen Kabinett gebilligte Bundesratsinitiative sieht einen Kündigungsschutz für Neueinstellungen erst in Betrieben mit mehr als 80 Mitarbeitern vor. Er wäre damit für 90 Prozent des Mittelstands unwirksam. Gegen eine Abfindung kann auch ganz auf den Kündigungsschutz verzichtet werden. Befristete Arbeitsverträge dürften statt auf zwei nun auf fünf Jahre geschlossen und Zeitarbeiter unter Tarif bezahlt werden. Allgemeinverbindliche Tarifverträge sollten durch lokale oder landesweite Vereinbarungen abgelöst werden. Betriebliche Vereinbarungen könnten in einem 30-Prozent-Lohnkorridor Vorrang vor Flächentarifen genießen.

Zehn Jahre lang soll Ostdeutschland so zum Experimentierfeld für die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes werden. Am 14. März kommt der Gesetzentwurf „zum Abbau von Hemmnissen auf dem Arbeitsmarkt“ in den Bundesrat.

Etwas moderater hatte sich zuvor Sachsen-Anhalt gezeigt. Dem Magdeburger Wirtschaftsministerium genügen drei Jahre Testzeit für eine Modellregion und eine Mindestgrenze von 20 Beschäftigten beim Kündigungsschutz. Auf eine weitere Magdeburger Anregung ist Sachsen eingeschwenkt. Das Gesetz soll in allen Ländern gelten, deren Arbeitslosigkeit mehr als 50 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegt. Bremen etwa wäre ebenfalls betroffen. Eine Grundgesetzänderung wäre wegen der Befristung des Gesetzes nach Meinung Gillos und der in Sachsen-Anhalt beheimateten FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper nicht notwendig.

Gillo weiß zwar noch keine westdeutschen Länder, wohl aber den Vorstand der CDU-Bundestagsfraktion und namentlich deren Ost-Sprecher Arnold Vaatz hinter sich. Lediglich beim Kündigungsschutz gebe es noch Differenzen, sagte er. Auch Arbeitgeberverbände hätten Zustimmung signalisiert. Erwartungsgemäß konterte Sachsens DGB-Chef Hanjo Lucassen, dass Sozialstandards und Tarife in Ostdeutschland seit Jahren ohne erkennbaren Wirtschaftserfolg untergraben würden. „Gillo, go home“, meinte er unter Anspielung auf US-Verhältnisse. Ähnlich reagierte PDS-Landtagsfraktionschef Peter Porsch. Statt dieses „Wolkenkuckucksheimes“ sollte unter dem Schlagwort „Sonderwirtschaftszone“ besser auf eine Mittelstandsoffensive und eine Nachfragestimulierung durch Angleichung der Löhne und Gehälter gesetzt werden.

Gillo selbst wagte keine Prognosen zum Arbeitsplatzeffekt. Joachim Ragnitz vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) beurteilte die Erfolgsaussichten der Deregulierung zurückhaltend. Es handele sich nicht um ein Allheilmittel, auch wenn begrenzte Arbeitsmarkteffekte zu erwarten seien. Keinesfalls könne es um „regulierungsfreie Zonen“ gehen. Er befürchte zudem, dass solche Vorleistungen westdeutsche Geberländer zur Einschränkung von Finanztransfers ermuntern könnten.