Bayern ist Deutschland

So mindestens stellen es ausländische Reiseführer dar. Neben mittelalterlichen Burgen und dem Königreich der Würste tauchen die Überreste der Nazizeit als Hauptattraktionen auf. Die neuen Bundesländer erwähnen die Autoren nur am Rande

„Deutschland ist nicht Hollywood – hier ist alles echt“, so das Marketing

VON UTE ZIMMERMANN

Lederhosen tragende Wurstliebhaber, die durch romantische bayerische Landschaften voller Schlösser von der Imbissbude zur Bäckerei auf der Autobahn rasen und ihren Müll penibel trennen. Das ist Deutschland. So sehen zumindest ausländische Reiseführer die Republik. Es gäbe sicherlich Anlass zu einigen Korrekturen. Aber eigentlich fahre Deutschland ganz gut mit dem bajuwarisch-verzerrten Bild, das Italiener, Amerikaner, Engländer und Franzosen von den Deutschen haben, sagt Mechtild Agreiter. Denn diese Spannbreite locke Besucher ins Land. Wenn auch nur in die südlichen Bundesländer. Die Wissenschaftlerin untersuchte im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Lehrstuhl für Stadtgeographie und Geographie des ländlichen Raumes der Universität Bayreuth Reiseführer über Deutschland und kam zu überraschenden Ergebnissen.

Sie stellte fest, dass laut der 24 untersuchten Reiseführer das wahre, das authentische – also das romantische – Deutschland an den Ufern der Donau und in den Bergen Bayerns zu finden ist. Der Schwarzwald in Baden- Württemberg und der Rhein in Rheinland-Pfalz werden noch gelten gelassen. Doch Niedersachsen oder Thüringen würden sich schwer tun, einen zweiten „Mad King Ludwig“ und ein zweites Neuschwanstein aus dem Hut zu zaubern.

Bayern ist bei Attributen, die für ganz Deutschland gelten, übermächtig: Wellness, Wandern, Wurst und Autos. Mechtild Agreiter, selbst begeisterte Reisende, lacht ein wenig verlegen: „Bayern ist Deutschland“, so lautet das statistisch begründete Fazit ihrer Arbeit. Und Deutschland ist exotisch mit seinen Lederhosen, den romantischen Burgen und Schlössern, den Alpen. Gegenstände und Naturräume, die eigentlich als Vorzeigeobjekte des süddeutschen Raumes gehandelt werden, stehen in internationalen Reiseführern für das vereinigte Deutschland. Der Wissenschaftlerin ist es beinahe peinlich, mit ihrer Arbeit ebendiese Klischees zu bekräftigen. Sie habe somit zwar „nichts Neues“ festgestellt, aber nun seien diese Vorurteile immerhin bewiesen.

Zu diesen gehört die Beobachtung, dass in den neuen Bundesländern, ausgenommen Berlin, die wenigsten ausländischen Besucher übernachten. Immerhin seit 14 Jahren gehört der Osten wieder zum Westen, doch das ist für die Reiseführerautoren noch lange kein Grund, ihre Landsleute dorthin zum Urlaubmachen zu schicken. Und so tauchen die neuen Bundesländer nur am Rande in den einschlägigen Titeln auf, auch wenn einige Führer immerhin bemerken, hier sei „history in the making“ zu beobachten.

Italienische Reisende fahren in den Schwarzwald, um dort dem Mythos des deutschen Waldes zu huldigen, der schon von Tacitus beschworen worden ist. Der römische Geschichtsschreiber wird von den Autoren gern zitiert. Dass Tacitus wohl nie einen Fuß auf deutschen Waldboden gesetzt hat, stört niemanden, der ihn zu Wort kommen lässt.

Für eher unwichtig gehalten werden vor allem in US-amerikanischen Werken die historischen Hintergründe der Bundesrepublik. Reiseführerautoren und Reisende des alten Europa scheinen dagegen keine Scheu vor der Geschichte zu haben. Im Gegenteil: Die Schrecken der jüngeren Vergangenheit in Deutschland sind ein Grund, hierher zu reisen. So kommt es, dass neben den mittelalterlichen Burgen und Schlössern die Überreste der Nazizeit die Hauptattraktionen stellen. Konzentrationslager, Führerhauptquartiere und faschistische Prachtbauten liefern die Kulisse für Schnappschüsse aus dem Urlaub. In keinem der untersuchten Reiseführer werde den Deutschen die Vergangenheit dabei offen negativ angekreidet. „Dark Tourism“ lautet der Fachausdruck für den wirtschaftlich lohnenden Erhalt der Nazi-Stätten. Statt den Deutschen Vorwürfe zu machen, bringen die Reiseführerautoren den Menschen eher Respekt vor der Aufbauleistung nach 1945 entgegen. „Herman the German“ wird zwar immer noch gefürchtet, doch laut den Ergebnissen der Untersuchung bezieht sich diese Furcht nur noch auf den als prototypisch empfundenen aggressiven Raser auf deutschen Autobahnen.

Ein britischer Führer beschreibt die Deutschen als vorbildhafte Weltverbesserer mit Umweltbewusstsein. Zum Beispiel diese Sache mit dem Müll. Wer Müll trennt, muss ein fanatischer Umweltschützer sein, vermuten die Reiseführerautoren jeder Nationalität. Das passt aber nun wieder gar nicht zu der omnipräsenten Autobegeisterung – die Deutschen gelten als Paradoxon auf Beinen. Irgendwie unterhaltsam, aber eigentlich nicht zu verstehen. Wie die deutsche Speisekarte. Essen und Trinken in Deutschland seien, beschwören die Reiseführer, besser als ihr Ruf. Das Angebot der Lebensmittel wird, so die Beobachtung eines französischen Autors, allerdings von einem Produkt dominiert: der Wurst. Deutschland sei gar das „Königreich der Würste“.

Dabei ist das Bild des romantischen Deutschland keine Erfindung ausländischer Reiseführer, fand Mechtild Agreiter heraus, sondern vor mehr als 50 Jahren systematisch von der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) im Auftrag der Bundesregierung aufgebaut worden. Dieses Bild, das von der Republik geschaffen wurde, um Besucher anzulocken, scheint sich in den Köpfen der Reisenden verselbstständigt zu haben. Zumindest sieht sich die DZT auf ihrer Internetseite dazu genötigt, zu schreiben: „Deutschland ist nicht Hollywood – hier ist alles echt“.

Auch die alles entscheidende Frage eines jeden Urlaubs wird in den 24 fremdsprachigen Reiseführern geklärt: Was taugt zum Mitbringsel? Mechtild Agreiter hat nachgelesen und wieder vor allem Klischees gefunden. Die Schwarzwälder Kuckucksuhr steht ganz oben auf der Liste, gefolgt von bayerischen Trachten. Doch auf Platz drei der beliebtesten Andenken steht ein Souvenir, das von den Deutschen mittlerweile selbst gern als Symbol landestypischer Geschmacksverirrung benutzt wird: die Birkenstocksandale. Zuverlässig, bequem, ein Leben lang haltbar, für öffentliche Auftritte eigentlich völlig ungeeignet und mit Socken zu tragen. Das Stück Deutschland für zu Hause.

opus.ub.uni-bayreuth.de/volltexte/2003/64