George W. Bushs Politik der Irreführung

Institut wirft US-Regierung vor, Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen konstruiert zu haben, um den Krieg gegen den Irak rechtfertigen zu können. Colin Powell räumt ein, dass es keine Beweise für Verbindungen Husseins zu al-Qaida gab

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

In den USA und ihrer Hauptstadt ist die „Mars Mania“ ausgebrochen. Visionen sind angesagt. Wen kümmert da das Geschwätz von gestern. Nur noch unbelehrbare Nörgler interessieren sich für Massenvernichtungswaffen im Irak, für die angebliche Verbindung zwischen dem gestürzten Regime und Terroristen und für die Lügen von George W. Bush und seinen Getreuen.

Just an jenem Tag, an dem eine angesehene Denkfabrik in Washington die Glaubwürdigkeit der US-Regierung einmal mehr untergräbt und die Administration bezichtigt, über Iraks ABC-Waffen „irreführend“ informiert zu haben, berichtet das Weiße Haus, dass Präsident Bush eine neue große Mission plant, diesmal im Weltall. Die Medien stürzen sich auf das Rätsel, ob es nun zum Mond oder Mars geht. Gegen dieses Ablenkungsmanöver hat es die hundertseitige Studie des „Carnegie Endowment for International Peace“ schwer, Aufmerksamkeit zu erregen.

Dabei sind die Ergebnisse des Forschungsinstituts eine schwere Anklage gegen die Bush-Regierung. Sie und ihre Geheimdienste hätten die Bedrohung durch den Irak vor Kriegsbeginn „systematisch“ übertrieben. Meinungen seien in Fakten verdreht worden. In Erklärungen der Regierung seien „regelmäßig“ Warnungen, Wahrscheinlichkeiten und Zweifel unterschlagen worden, die in den Bewertungen der Geheimdienste enthalten gewesen seien, so die Autoren. Iraks Waffenprogramme seien zwar „langfristig“ gefährlich gewesen, doch „sie haben keine unmittelbare Bedrohung für die USA, die Region oder die Weltsicherheit dargestellt“. Der brisante Bericht enthält keine neuen Fakten. Seine Aussagekraft liegt vielmehr in der Reputation des Instituts, das großes Ansehen genießt, und in der sorgfältigen Analyse.

Als einziger Regierungsvertreter nahm Außenminister Colin Powell zu den Vorwürfen Stellung und widersprach erwartungsgemäß vehement. Er hatte im Februar 2003 im UN-Weltsicherheitsrat angebliche Beweise für Iraks Waffenprogramme vorgelegt und die Gefahr einer unmittelbaren Bedrohung beschworen. „Ich habe volles Vertrauen in die Fakten, die ich im vergangenen Jahr präsentiert habe“, sagte er. Und wie immer bei solchen Anschuldigungen verwies er auf die unerledigte Arbeit der US-Waffeninspekteure im Irak. Deren Ergebnisse müssten abgewartet werden. Doch bislang haben die Suchtrupps keine Anzeichen von Massenvernichtungswaffen gefunden.

Wenn es noch eines Hinweises bedurfte, dass auch die US-Regierung nicht mehr daran glaubt, noch irgendwelche substanziellen Waffenbestände zu Tage zu fördern, dann war es die Nachricht, 400 US-Inspekteure hätten im Irak bereits ihre Koffer gepackt. Der Abzug geschah laut New York Times auf leisen Sohlen. Das Blatt will zudem erfahren haben, dass David Kay, ehemaliger UN-Waffeninspekteur und nun Chef der US-Spürnasen, noch im Januar seinen Job aufgeben will ohne einen Abschlussbericht vorzulegen. Schon seine Zwischenbilanz im November enttäuschte das Weiße Haus: Keine ABC-Waffen nirgends.

Was die von der Bush-Regierung immer wieder behauptete Verbindung zwischen Saddam Hussein und al-Qaida betrifft, machte Powell am Donnerstag jedoch erstmals einen Rückzieher. Dafür habe er keine Beweise, sagte er. Das Eingeständnis der Falschaussage und die Ergebnisse der Studie wären eine Steilvorlage für die Opposition. Doch die demokratischen Präsidentschaftsbewerber sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig aus dem Rennen zu werfen.