Plappern, wenig sagen, üppig speisen

Pressekonferenzen gehören fest zur Wochen-Liturgie eines Bundesligisten, auch in Bremen. Dort treten auf: der Tino, der Klaus und der Thomas. Neben zähen Floskeln und kruden Metaphern gibt es für die Journalisten zur Belohnung Schweinemedaillons

aus Bremen Dirk Strobel

An einem ganz normalen Donnerstag, High Noon im Weserstadion: Werder Bremen lädt ein zum wöchentlichen Kicker-Kauderwelsch mit anschließendem 3-Gänge-Menü. Es treten miteinander und gegeneinander an: Mediendirektor Tino Polster, Sportdirektor Klaus Allofs und Trainerdirektor Thomas Schaaf. Sowie der Gegner jenseits der Mittellinie: die geladenen Sparringspartner aus der Sportpresse, samt den Hofberichterstattern Kicker und Bild als ambitioniertem Sturmduo am heiligen 16-Meter-Raum.

Spielbeginn, Anpfiff zur grün-weißen Pressekonferenz. Erste einleitende Worte von der leicht erhöhten Bühne. Schillernd strahlt die hervorragende Werder-Tabellenplatzierung via Videotext auf Flachbildschirmen. Erhaben und selbstbewusst wirkt das dreiköpfige Werder-Medienkonglomerat vor einer in absurder Fülle mit Sponsorenlogos gepflasterten Werbewand.

1. Spielminute: Bananen-Flanke Polster, verbale Direktabnahme Allofs. Ein strammer Spruch und ... Tor. Schaaf hat eingenickt. Ein unerschöpflicher Strom von Floskeln – verknüpft, verwoben, verdreht – wälzt sich aus seinem Mund über die anwesenden Journalisten hinweg. Ernsthafte Blicke werden sich zugeworfen. Das Herz auf der Zunge eines Spielers müsse aus der Schussbahn genommen werden. Wie geht das? Abschneiden? Kasernieren? Die Geschlossenheit seiner Mannschaft stehe sonst auf dem Spiel. Sicherlich. Ein kühler Fußballer-Kopf ist unerlässlich. Wissen wir doch, Herr Schaaf. Daher müsse der Druck von außen intern abgeschwächt werden. Äh, ja. Kann nicht mal einer nach der Schambeinentzündung von Skripnik fragen?

4. Spielminute, Zeitspiel: Angespannte Stille, kein Räuspern, keine Anzeichen publizistischer Aktivität. Quälend lang die Sekunden, in denen Polster, Allofs und Schaaf auf intelligente Fragen hoffen. Die – weniger intelligent – nur zögerlich und widerwillig gestellt werden.

6. Spielminute, vollständige Arbeitsverweigerung und Schweigeminute: Der fensterlose Kunstlicht-Bunker-Presseraum wirkt verschlossen, nicht der Öffentlichkeitsarbeit dienlich. Null Atmosphäre, null Fragen, null Information. Das scheint zum Prinzip erhoben. Waffenstillstand am heiligen Presse-Donnerstag – später werden zur Belohnung, so was gibt es längst nicht bei jedem Bundesligaverein, noch Linsensuppe mit viel Wurst und andere Leckereien gereicht.

8. Spielminute, Steilpass: Wenigstens einer traut sich was. Die Bratwurst-Frage. Wird sie billiger im Weserstadion – ja oder nein? Mit drohendem Unterton: Des Volkes Zorn wäre Werder gewiss, ein Fanaufstand in der Ostkurve kaum abzuwenden. Die Wurst muss billiger. Punkt. Könnte man nicht auch gleich den Bierpreis diskutieren? Und warum fragt eigentlich keiner, wo Tino seine rosa Hemden kauft?

10. Spielminute, Abseitsposition: Dem Tino wird‘s zu bunt. Denn der Tino – leicht ergraut – fühlt sich arg vernachlässigt. Ihm täte ein wenig Ansprache sehr gut. Fast meint man ein wehleidiges Schluchzen zu vernehmen. Einsam sitzt er zwischen seinen Kollegen, die von der Pressemeute weiter belagert und interviewt werden. Um Aufmerksamkeit buhlend blickt er sehnsüchtig auf die Mikros. Keines ist auf ihn gerichtet. Beim Deutschen Sportfernsehen, wo der Tino mal gearbeitet hat, war das aber noch anders. Nun ja, dann stellen wir uns doch einfach mal direkt vor die Kameras. Immer hübsch im Bilde sein. Die Aufmerksamkeit aller ist dem Tino jetzt gewiss.

Ebenfalls 10. Spielminute: Die Ereignisse überschlagen sich. Und der Klaus – ganz in bunte Längsstreifen gehüllt – widerlegt geschickt die allgemein gern genutzte Nach-dem-Spiel-ist-vor-dem-Spiel-Theorie. So ist es eben nicht – jedenfalls in Transferfragen. Da hält man sich gerne bedeckt. Ein Sportdirektor muss eben sehr feinfühlig vorgehen. Wir sind doch nicht auf Schalke, und Rudi heißt in Bremen auch keiner. Leise sprechen kann der Klaus auf jeden Fall.

30. Spielminute, Verlängerung: Kein Durchatmen möglich. Freudig erregt macht sich die Pressemeute auf zum Pilgermarsch zur VIP-Lounge. Es duftet schon von weitem. Der Thomas blättert an der langen Tafel gelangweilt im Werder-Fanmagazin. Neben ihm dampfen seine erkaltenden Schweinemedaillons mit Champignons aus der Dose. „Auf den Molukken spielen die sowieso viel besseren Fußball“, kommentiert der Bratwurst-Journalist den Kantersieg der Holländer gegen Berti-Land. Bloß kein Blatt vor den Mund nehmen. Obwohl: Für die Presse gibt‘s Dreilagiges auf den Toiletten. Sehr hautfreundlich. Danke. Verschämt ob der vorurteilsbehafteten Bemerkung drehen die Kollegen mit gesenktem Kopf weiter ihre Nudeln auf die Gabeln. Fragen stellt hier niemand mehr.

60. Spielminute, Abpfiff: Informelles Unentschieden. Nachrichtenrelevanz gleich null. Die Punkteteilung – ein abgekartetes Spiel. Die Einheit der publizierenden Truppe scheint nicht gefährdet. Seien sie unbesorgt, Herr Schaaf. Hier bleiben alle auf Spur und am Rockzipfel der grün-weißen Medienlenker, die viel erzählen, nichts sagen, aber trotzdem ständig zitiert werden.