Die Hebung der ehrlichen Stemmer

Empor Berlin verliert in der Gewichtheberbundesliga trotz Mannschaftsrekord gegen den TSV Schwedt. Dennoch dürfte sich das Team in der Ersten Liga halten – nicht schlecht für einen Club, der sich als Ausbildungsverein versteht

Der Hallensprecher kündigt die erste „Hebung“ an. Natürlich ist allen Anwesenden klar, dass damit nicht die Metrik eines Gedichtes gemeint ist. Doch die gesetzte Stimmung ist der bei einer Dichterlesung in der Volkshochschule nicht unähnlich. Die Gewichtheber der beiden Mannschaften marschieren ein, werden kurz vorgestellt. Daraufhin wird der Sprecher zum höflichen Befehlshaber. „Bitte rechts um und Ausmarsch in den Warmhaltebereich“, ordnet er an. Es folgt die erste Hebung.

Der SV Empor Berlin hat zu einem Heimkampf in der Gewichtheberbundesliga geladen. 45 Zuschauer haben sich am Samstagnachmittag im Berliner Gewichtheberzentrum, das in einem Bürogebäude hinter dem Velodrom in Prenzlauer Berg untergebracht ist, eingefunden. Mehr hätten auch gar nicht Platz gehabt im winzigen Heberraum. Für die typische Gewichtheberatmosphäre reicht es.

Zunächst werden die Sportler allein gelassen. Die ersten Versuche werden problemlos gemeistert, denn die Heber haben nur so viel Gewichte auf die Hantel montieren lassen, dass sie nicht schon beim ersten Griff ans Gerät versagen. Schon in der zweiten Runde wird es interessanter. Die Urschreie der Heber beim Stemmen werden nicht selten vom Publikum übertönt. Und beinahe wirkt es so, als könnten die Zuschauer tatsächlich dazu beitragen, dass der Heber unter die Stange kommt. Wenn der Hals der starken Männer breiter wird als der hochrot angelaufene Schädel, nehmen auch die Gesichter im Zuschauerraum leidende Züge an.

Besonders lautstark wird Robert Joachim unterstützt. Der 16-jährige Nachwuchsmann ist beim Wettkampf gegen den TSV Schwedt zum ersten Mal für den SV Empor an der Hantel. Mit seinen 97 Punkten trägt er nicht unwesentlich zum Ergebnis seiner Mannschaft bei. 97 Punkte, das bedeutet, dass er im Reißen 90 Kilo und im Stoßen 115 Kilo bewegt hat. Die Punkte errechnen sich aus dem gehobenen Gewicht minus ein so genannter Relativpunktabzug, der sich nach dem Körpergewicht berechnet. Dem 62 Kilo schweren Joachim werden 54 Punkte abgezogen. Es ist also gewährleistet, dass massige Heber gegen die leichteren Sportler nicht im Vorteil sind. Der junge Mann hat seinen Teil dazu beigetragen, dass der SV Empor einen neuen Mannschaftsrekord aufgestellt hat. Dennoch ist er unzufrieden. Zwei Fehlversuche wurmen ihn.

Auch Mannschaftsbetreuer Exner ist nicht ganz zufrieden. Denn trotz Mannschaftsrekord ist der Kampf gegen Schwedt mit 596,0:627,0 verloren gegangen. Damit bleiben die Berliner weiter im Tabellenkeller. Den Klassenerhalt werden sie aber wohl schaffen. Der Abstand zu den besten Teams der Zweiten Liga ist doch zu groß. Einen möglichen Relegationskampf werde man wohl gewinnen, so Exner.

Dann wäre Empor ein weiteres Jahr erstklassig. Nicht schlecht für einen Verein, der sich als Ausbildungsclub versteht. Sollte einer der guten Nachwuchsleute noch besser werden, dann werden sie abgeworben von den Spitzenvereinen. Vom Lokalrivalen Berliner TSC beispielsweise. Bei dem wird auch Robert Joachim wahrscheinlich irgendwann landen, wenn er sich weiter verbessern wird. „Das ist eben so“, Mannschaftsführer Exner sieht’s gelassen.

In der familiären Wettkampfatmosphäre liegt der Gedanke an Manipulation in weiter Ferne. Auch Antonio Exner ist sich sicher, dass es Doping in seinem Team nicht gibt. „Wenn einer Ambitionen bei einer WM hat, dann könnte ich mir das noch vorstellen, aber um einen achten Platz in der Bundesliga zu halten, wird das doch keiner machen“, sagt er. Die 2.000 Euro, die der Verein in einem solchen Fall als Strafe zahlen müsste, könnte sich der SV Empor auch gar nicht leisten. 2.000 Euro, so hoch ist der gesamte Saisonetat.

ANDREAS RÜTTENAUER