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Armut unter den Armen verteilt

betr.: „Deutschland, ein Pfadfinderlager“ (Reform Arbeitsmarkt und Sozialsystem) von Barbara Dribbusch, taz vom 20. 2. 03

Sie haben doch wohl nicht im Ernst daran geglaubt, dass die mit großem Tamtam begleitete Ablösung von Herrn Jagoda durch Herrn Gerster und die Arbeit der Hartz-Kommission zu einer Vermehrung der Arbeitsplätze und/oder zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen würden. Was Sie vielleicht erst jetzt erkannt haben, hat Ihre Kollegin Ulrike Herrmann unter der Überschrift „Sozialhilfe für Millionäre“ bereits in der taz vom 17./18. August 2002 beschrieben: Armut soll in Deutschland weiter unter den Armen umverteilt werden.

Das halbe Prozent der deutschen Bevölkerung, das über 25 Prozent des Geldvermögens verfügt, wird möglichst wenig zu Leistungen herangezogen. Ökonomisch ist das unsinnig, weil: Wenn Geld, das offenbar nicht wachstumswirksam genutzt wird, zum Teil in Form von Vermögensteuern dem Staatshaushalt zugeführt würde, so könnte der Staat investieren, Nachfrage schaffen, auch nach Arbeitnehmern, und Geld wieder in den Kreislauf bringen.

Wenn Sie sich weiter der Frage widmen, was man eigentlich nicht machen kann (z. B. Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben und dann mit über 50 den Job verlieren, die Arbeitslosenhilfe kappen), dann werden Sie auf viele „Reformen“ der letzten zirka zehn Jahre stoßen, die genauso aussehen. Zum Beispiel die Rentenabschläge für 60-jährige Arbeitslose, obwohl sie 45 Jahre lang gearbeitet und Beiträge gezahlt haben. Oder die Verrechnung von Kindergelderhöhung und Sozialhilfe. Und ich möchte wetten, dass die Rürup-Kommission zu ähnlichen „Reformen“ führen wird.

Es geht nicht um 20 Euro für eine Zusatzversicherung für „mittlere Verdiener“ (wer ist das eigentlich?), sondern es geht darum, dass sich die Arbeitgeber aus der hälftigen Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge weiter zurückziehen wollen. Bei der Pflegeversicherung haben sie das noch unter der Kohl-Regierung von Anfang an durchgesetzt. Bei der Rentenversicherung haben sie das unter der ersten Schröder-Regierung auch geschafft. Die Riester-Rente bedeutet nicht nur eine Absenkung des Rentenniveaus, sondern bedeutet für diejenigen, die sich da noch mit einer kleinen Aussicht auf Erfolg versichern (die über 50-Jährigen eher nicht), dass sie von ihrem Einkommen vier Prozent höhere Rentenversicherungsbeiträge allein zahlen müssen. Und zum Gesundheitswesen: Warum sollen, wenn 20 Euro Erhöhung für „mittlere Einkommen“ angezielt sind, diese nicht hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden? Wer mehr verdient, zahlt bis zur Beitragsbemessungsgrenze ohnehin mehr. Die Beitragsbemessungsgrenze könnte heraufgesetzt werden, wenn wirklich mehr Geld ins Gesundheitswesen soll, wovon ich persönlich nicht überzeugt bin. […] GUDRUN ROGGE, Berlin

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